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Oryx und Crake

Oryx und Crake

Titel: Oryx und Crake Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Margaret Atwood
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während der Happy-Hour-Aufrisszeit bald zu witzeln pflegte. Er konnte nicht behaupten, dass er sich darauf freute, auf diesen Rest-seines-Lebens.
    Trotzdem vergrub er sich in Martha Graham wie in einem Schützengraben. Er teilte sich eine Wohnheimsuite – ein kleines Zimmer auf jeder Seite, ein von Silberfischchen heimgesuchtes Bad in der Mitte – mit einer fundamentalistischen Veganerin namens Bernice.
    Sie band ihre strähnigen Haare mit einem hölzernen Tukan zu einem Pferdeschwanz zusammen und besaß eine große Kollektion von Gottesgärtner-T-Shirts, die wegen der Abneigung ihrer Trägerin gegen chemische Produkte wie Deodorants selbst dann stanken, wenn sie frisch aus der Wäsche kamen.
    Wie sehr sie sein fleischfresserisches Verhalten missbilligte, teilte Bernice ihm mit, indem sie seine Ledersandalen entführte und draußen auf dem Gelände einäscherte. Als er protestierte, sie seien überhaupt nicht aus echtem Leder gewesen, sagte sie, sie hätten sich aber als solche ausgegeben und insofern ihr Schicksal verdient. Nachdem er ein paar Mädchen auf seinem Zimmer gehabt hatte – was Bernice nichts anging, zumal sie bis auf ein gelegentliches pharmazeutisch herbeigeführtes Kichern und eine Menge verständliches Stöhnen ziemlich leise gewesen waren –, hatte sie ihre Meinung zu einvernehmlichem Sex damit kundgetan, dass sie draußen vor dem Gebäude aus Jimmys Jockey-Unterhosen ein Freudenfeuer gemacht hatte.
    Er beschwerte sich beim Studentenservice, und nach mehreren Anläufen – der Studentenservice von Martha Graham war notorisch schlecht gelaunt, was kein Wunder war, denn er war mit ausgebrannten TV-Serien-Darstellern besetzt, die der Welt ihren Absturz vom Sockel marginalen Ruhmes nicht verzeihen konnten – durfte er in ein Einzelzimmer umziehen. (Erst meine Sandalen, dann meine Unterwäsche. Als Nächstes hin ich selber dran. Die Frau ist eine Pyromanin, wenn ich das wiederholen darf, sie hat eine massive Wahrnehmungsstörung. Wollen Sie den konkreten Beweis ihres Unterwäsche-Autodafés sehen? Bitte sehr, schauen Sie in diesen winzigen Umschlag. Würden Sie gern die Verantwortung übernehmen, wenn Sie demnächst mich selbst in einer Urne sehen, Asche, Knochenreste, ein paar Zähne dazwischen? He, ich hin hier der Student, und Sie sind der Service. Hier steht es, groß und breit auf dem Briefkopf, sehen Sie? Übrigens habe ich das alles dem Präsidenten gemailt.)
    (So hatte er es natürlich nicht gesagt. So dumm war er nicht. Er lächelte, präsentierte sich als vernünftiges menschliches Wesen, gewann ihre Sympathie.)
    Danach, als er sein neues Zimmer hatte, ging es ihm ein bisschen besser. Wenigstens war er jetzt frei, ein ungehindertes Sozialleben zu pflegen. Er stellte fest, dass er eine Art von Melancholie ausstrahlte, die auf einen bestimmten Frauentyp – die künstlerisch Angehauchten, frauenbewegten Esoterikerinnen, die es in Martha Graham zuhauf gab –

    eine gewisse Anziehungskraft ausübte. Großzügige, fürsorgliche, idealistische Frauen, findet Schneemensch jetzt. Sie hatten selbst ein paar Wunden und arbeiteten daran, sie zu heilen. Am Anfang kam ihnen Jimmy bereitwillig zu Hilfe: Er sei weichherzig, sagten sie über ihn, und stets ritterlich. Er entlockte ihnen die Geschichten ihrer Verletzungen und legte sich selbst als Verband darauf. Aber bald kehrte der Prozess sich um, und Jimmy wechselte vom Bandagierer zum Bandagierten.
    Allmählich begannen die Frauen zu erkennen, wie zerbrochen er war, und wollten ihm helfen, wieder eine Perspektive im Leben zu finden und sich die positiven Seiten seiner Spiritualität zu erschließen. Sie sahen ihn als kreatives Projekt: das Rohmaterial war Jimmy in seiner gegenwärtigen düsteren Form; und das Endprodukt, ein glücklicher Jimmy.
    Jimmy ließ sie an ihm arbeiten. Es heiterte sie auf, es gab ihnen das Gefühl, nützlich zu sein. Es war ergreifend, wie weit sie für ihn gingen.
    Ob ihn dies glücklich machen würde? Und jenes? Na gut, und wie wäre es damit? Aber er achtete darauf, dass seine Melancholie insgesamt nicht geringer wurde. Sonst hätten sie ja irgendeine Belohnung erwartet, wenigstens ein Ergebnis; dann hätten sie einen nächsten Schritt verlangt und schließlich ein Engagement seinerseits. Aber weshalb sollte er so dumm sein, seinen grauen Regentag-Charme aufzugeben – das dämmrige Wesen, die nebelhafte Aura, die sie überhaupt erst an ihm gereizt hatten?
    »Ich bin ein hoffnungsloser Fall«, pflegte er ihnen zu sagen.

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