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Oryx und Crake

Oryx und Crake

Titel: Oryx und Crake Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Margaret Atwood
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»Ein emotionaler Analphabet.« Er versicherte ihnen aber auch, dass sie schön seien und ihn erregten. Das stimmte sogar, und damit war es ihm jedes Mal ernst. Gleichzeitig behauptete er, bei ihm sei jede größere Investition eine Verschwendung, gefühlsmäßig sei er eine Müllkippe, und sie sollten stattdessen einfach nur das Hier und Jetzt genießen.
    Früher oder später warfen sie ihm vor, dass er nichts ernst nahm. Dies, nachdem sie ihm zuerst gesagt hatten, er müsse die Dinge leichter nehmen! Wenn ihre Energie schließlich verbraucht war und die Tränen flossen, sagte er ihnen, dass er sie liebte. Er trug seine Liebeserklärung in ausgesucht hoffnungslosem Tonfall vor: Von ihm geliebt zu werden sei eine Giftpille, eine geistige Infektion, die jede Frau in dieselbe trübe Tiefe hinabzog, in der er selbst gefangen sei, und eben weil er sie so sehr liebte, wolle er ihr kein Leid antun, folglich müsse sie aus seinem verheerenden Leben verschwinden. Manche durchschauten ihn – Werd endlich erwachsen, Jimmy! –, aber im Ganzen gesehen: wie mächtig das wirkte!
    Er war immer traurig, wenn sie ihre Sachen packten und gingen. Am wenigsten mochte er es, wenn sie wütend auf ihn waren, er ließ sich von jeder Form weiblicher Wut aus dem Gleichgewicht bringen; aber war ihnen erst einmal die Geduld ausgegangen, wusste er, dass es vorbei war. Er hasste es, sitzen gelassen zu werden, obwohl er das Ereignis selbst herbeigeführt hatte. Aber binnen kurzem würde die nächste Frau mit interessanten Verletzlichkeiten des Weges kommen. Es war eine Zeit des schieren Überflusses.
    Dabei log er nicht, nicht ständig. Auf irgendeine Weise liebte er diese Frauen wirklich. Er wollte wirklich, dass es ihnen besser ging. Es war nur leider so, dass seine Aufmerksamkeitsspanne recht kurz war.
    »Du Halunke«, sagt Schneemensch laut. Es ist ein gutes Wort, Halunke; eins der goldenen Oldies.

    Sie wussten natürlich Bescheid über seine skandalöse Mutter, diese Frauen. Böse Winde wehen weit und finden offene Türen.
    Schneemensch schämt sich, wenn er daran denkt, wie er diese Geschichte benutzt hat – eine Andeutung hier, ein Zögern dort. Bald waren die Frauen eifrig dabei, ihn zu trösten, und er suhlte sich in ihrem Mitgefühl, saugte sich voll, massierte sich damit. Es war ein Kurerlebnis ganz eigener Art.
    Seine Mutter hatte mittlerweile den Status eines mythischen, übermenschlichen Wesens erlangt, mit dunklen Schwingen und brennenden Augen wie Justitia, das Schwert in der Hand. Wenn er zu der Stelle kam, als sie ihm Killer, das Wakunk, geraubt hatte, konnte er meist eine oder zwei Tränen entlocken, nicht sich selbst, sondern seinen Zuhörerinnen.
    Was hast du da getan? (Die Augen weit aufgerissen, einmalige Berührung seines Arms mit der Hand, mitfühlender Blick.) Och, weißt du. (Achselzucken, Blickabwenden, Themawechsel.) Es war nicht nur Theater.
    Nur auf Oryx hatte diese seine verhängnisvolle, gefiederte Mutter keinen Eindruck gemacht. Also, Jimmy, deine Mutter ist abgehauen?
    Pech. Aber vielleicht hatte sie gute Gründe dafür. Hast du darüber schon mal nachgedacht? Oryx kannte weder Mitleid mit ihm noch Selbstmitleid. Dabei war sie nicht gefühllos: im Gegenteil. Aber sie lehnte es ab, sich ihre Gefühle von ihm vorschreiben zu lassen. War es das, womit sie ihn an sich band – dass er von ihr nie bekam, was die anderen ihm so großzügig gegeben hatten? War das ihr Geheimnis?

AspergerU.
    Crake und Jimmy blieben über E-Mail in Kontakt. Jimmy beklagte sich über Martha Graham, in unterhaltsamer Weise, wie er hoffte, mit vielen ungewöhnlichen und herabsetzenden Adjektiven zur Beschreibung seiner Professoren und Kommilitonen. Er beschrieb die Kost aus recycelten Botulismuserregern und Salmonellen, schickte Aufzählungen der verschiedenen Vielfüßer, die er in seinem Zimmer gefunden hatte, stöhnte über die mindere Qualität der Stimmungsaufheller, die das trostlose Studenten-Einkaufszentrum zu bieten hatte. Aus Selbstschutz verschwieg er die Verworrenheit seines Liebeslebens und beschränkte sich auf minimale Andeutungen. (Die Babes können vielleicht nicht bis zehn zählen, aber was soll’s, man muss nicht bis zehn zählen können, um in die Kiste zu springen. So lang sie’s zehn Mal TUN, haha, Witz, ☺) Er konnte sich nicht verkneifen, ein bisschen anzugeben; aus den wenigen Anhaltspunkten zu schließen, die er bislang hatte, war dies schließlich das einzige Gebiet, auf dem er gegenüber Crake im Vorsprung

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