Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Oryx und Crake

Oryx und Crake

Titel: Oryx und Crake Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Margaret Atwood
Vom Netzwerk:
wusste.«
    »Ich bin wirklich müde«, sagte Jimmy. Er gähnte, und auf einmal stimmte es. »Ich glaub, ich hau mich hin.«

Extinctathon
    Am letzten Abend fragte Crake: »Lust auf Extinctathon?«
    »Extinctathon?«, sagte Jimmy. Er brauchte einen Moment, bis es ihm wieder einfiel: das öde interaktive Web-Spiel mit all den ausgestorbenen Pflanzen und Tieren. »Wann haben wir das denn gespielt? Kann nicht sein, dass das immer noch läuft.«
    »Es hat nie aufgehört«, sagte Crake. Jimmy begriff, was das bedeutete: Crake hatte nie aufgehört. Er hatte allein weitergespielt, all die Jahre hindurch. Na ja, zwanghaft war er schon immer gewesen, das war nichts Neues.
    »Und, wie ist dein Gesamtpunktestand?«, fragte er der Höflichkeit halber.
    »Wenn du erst mal auf dreitausend bist«, sagte Crake, »wirst du Großmeister.« Was hieß, dass Crake einer war, sonst hätte er es nicht erwähnt.
    »Oh, gut«, sagte Jimmy. »Kriegst du einen Preis dafür? Schwanz und beide Ohren?«

    »Ich zeig dir was«, sagte Crake. Er ging ins Web, fand die Site, rief sie auf. Da war das vertraute Portal: EXTINCTATHON, überwacht von MaddAddam. Adam benannte die lebenden Tiere, MaddAddam benennt die toten. Willst du spielen?
    Crake klickte auf Ja und gab seinen Codenamen ein: Rednecked Crake. Über seinem Namen erschien das kleine Coelacanthus-Symbol, das für Großmeister stand. Dann erschien etwas Neues, eine Botschaft, die Jimmy noch nicht kannte: Willkommen, Großmeister Rednecked Crake. Willst du ein allgemeines Spiel spielen oder willst du gegen einen anderen Großmeister antreten!
    Crake klickte auf das zweite. Gut. Such deinen Spielraum auf.
    MaddAddam wird dich dort treffen.
    »MaddAddam ist eine Person?«, fragte Jimmy.
    »Eine Gruppe«, sagte Crake. »Oder mehrere Gruppen.«
    »Was tun sie also, diese MaddAddams?« Jimmy kam sich idiotisch vor. Es war wie ein abgedroschener alter Spionage-DVD, James Bond oder etwas in der Art. »Außer Schädel und Felle zählen, meine ich.«
    »Pass auf.« Crake verließ Extinctathon und drang in eine lokale Plebsbank ein, wechselte von dort zu einem, wie es schien, Hersteller von Solarautozubehör, fuhr auf das Bild einer Radkappe, woraufhin sich ein Ordner öffnete – HottTotts Pinups lautete der Titel. Die Dateien waren ohne Namen, trugen aber ein Datum; er suchte eine aus, zog sie auf eines seiner Seerosenblätter herüber, sprang von dort auf ein anderes, verwischte seine Fußspuren, öffnete das dortige File, lud ein Bild herunter.
    Es war das Bild von Oryx, sieben oder acht Jahre alt, nackt bis auf ihre Haarbänder, ihre Blumen. Festgehalten in dem Augenblick, als sie ihm ihren Blick zugeworfen hatte, ihren direkten, verächtlichen, wissenden Blick, der ihm durch Mark und Bein gegangen war, als er – wie alt gewesen war? Vierzehn? Er besaß noch den Papierausdruck, zusammengefaltet, tief vergraben. Es war etwas Privates, dieses Bild.
    Seine ureigene private Angelegenheit: seine Schuld, seine Scham, sein Begehren. Warum hatte Crake es aufbewahrt? Gestohlen.
    Jimmy fühlte sich aus dem Hinterhalt angegriffen. Wie kommt sie hierher?, wollte er schreien. Das gehört mir! Gib’s mir zurück! Es war wie bei einer Gegenüberstellung; er stand mitten in der Reihe, Finger zeigten auf ihn, finstere Mienen musterten ihn, während eine tollwütige Bernice seine Unterhosen in Brand steckte. Die Strafe stand unmittelbar bevor, aber wofür? Was hatte er getan? Nichts. Er hatte nur geguckt.
    Crake fuhr zum linken Auge des Mädchens, klickte auf die Iris. Es war ein Einstieg: Der Spielraum öffnete sich.
    Hallo, Großmeister Rednecked Crake. Gib jetzt die Kennnummer ein.
    Crake tat es. Ein neuer Satz erschien: Adam benannte die Tiere.
    MaddAddam passt sie an.
    Dann folgte eine Reihe von E-Bulletins, mit Orten und Daten – eine CorpSeCorps-Sache anscheinend, versehen mit dem Vermerk Nur für sichere Adressen.
    Eine winzige parasitäre Wespe war in etliche ChickieNobs-Anlagen eingedrungen; sie war mit einer modifizierten Form von Windpocken infiziert, speziell auf ChickieNobs zugeschnitten und mit fatalen Folgen.
    Die Anlagen mussten abgebrannt werden, weil sich die Epidemie anders nicht unter Kontrolle bringen ließ.
    Eine neue Variante der gewöhnlichen Hausmaus, von Geburt an süchtig nach dem Isolationsmaterial von Stromkabeln, hatte in Scharen Cleveland überrannt und eine beispiellose Zahl von Wohnungsbränden ausgelöst. Diverse Eindämmungsmaßnahmen waren noch in der Testphase.
    Die

Weitere Kostenlose Bücher