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Oscar

Oscar

Titel: Oscar Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: David Dosa
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werden.
    »So alt sind Sie doch noch gar nicht«, sagte ich. »Man würde Sie glatt für zwanzig Jahre jünger halten!«
    »Oh, danke, Doktor«, sagte sie, und ich hatte den Eindruck, dass sie tatsächlich errötete.
    Ich beschloss, keine weiteren Kommentare abzugeben, bevor ich Frank wieder ins Zimmer geholt hatte. Schweigend schloss ich die Untersuchung ab und ging hinaus, damit Ruth sich anziehen konnte.
    Als ich nach wenigen Augenblicken mit Ruths Mann zurückkehrte, hatte ihre Stimmung sich gewandelt. Ich sah ihr in die Augen und erkannte die stille Verzweiflung in ihrem Gesicht.
    »Doktor, diese ganzen Gedächtnistests, die wir gemacht haben … die waren alle ziemlich töricht. Ich bin doch gesund, nicht wahr? Es gibt einfach so viel, woran ich in letzter Zeit denken muss.«
    Ihre Augen sagten jedoch etwas anderes. Sie wusste, dass es ein Problem gab. Das ist normalerweise immer so.
    Ich ertrug ihren Blick nicht mehr und schaute auf den Boden zwischen uns.
    Nun wussten die beiden Bescheid.
    Manchmal gibt es Tränen, wenn ich schlechte Nachrichten überbringe. Diesmal entstand nur Schweigen. Tränen sind mir lieber, dann kann man wenigstens etwas tun. Man kann sich umdrehen und eine Schachtel Papiertaschentücher vom Regal nehmen. Man kann dem Gegenüber beruhigend die Hand auf die Schulter legen.
    Das Schweigen ist am schlimmsten.
    Im Medizinstudium bekommt man beigebracht, man solle unbeteiligt, aber empathisch sein, wenn man etwas Schlimmes mitzuteilen hat:
Zuhören und unterstützen, ohne sich hineinziehen zu lassen.
    Leichter gesagt als getan. Ich bin auch nur ein Mensch, und ich lerne meine Patienten mit der Zeit gut kennen. Zum Beispiel treffe ich auf ihre Angehörigen und höre Geschichten über ihre Kinder und Enkelkinder. Ich feiere ihre Erfolge mit ihnen und bin in schwierigen Zeiten für sie da. Das ist der Aspekt meiner Arbeit, den ich am faszinierendsten finde – der Aufbau einer vertrauensvollen Beziehung zwischen Arzt und Patient, innerhalb derer meine Patienten sich wohl fühlen, wenn sie mir alles anvertrauen. Das ärztliche Sprechzimmer sollte ein sicherer Hafen sein, ein Raum, in den man die eigenen Dämonen und Engel mitbringen kann, die tiefsten Ängste und die größten Geheimnisse. Im Gegenzug muss ich ehrlich sein, und das ist manchmal der schlimmste Aspekt meiner Arbeit.
    »Es tut mir leid, Mrs.Rubenstein. Die Tests, die wir durchgeführt haben, lassen erkennen, dass Teile Ihres Gedächtnisses nicht mehr so gut funktionieren wie früher. Deshalb möchte ich, wie gesagt, ein paar weitere Tests machen, um besser zu verstehen, was los ist.«
    An dem leeren Blick, mit dem die beiden mich betrachteten, war zu sehen, dass sie nicht begriffen.
    »Mrs.Rubenstein, ich glaube, Sie haben eine Form der Demenz. Das ist der medizinische Begriff, den wir verwenden, wenn jemand Probleme mit dem Gedächtnis hat.«
    Schweigen. Keine Tränen. Ich hörte, wie der Sekundenzeiger der Uhr über der Tür tickte. Auf diese Uhr hatte Ruth während ihrer Tests geblickt.
    Schließlich brach Frank das Schweigen. »Ist es Alzheimer, Doktor?«, fragte er, und ich sah, dass er sich plötzlich wie der Kapitän eines ruderlosen Bootes fühlte, das einen unerforschten Ozean befuhr. Für das, was er vor sich sah, gab es keine Seekarte.
    »Ich möchte die Ergebnisse der Untersuchungen abwarten, Mr.Rubenstein, aber Alzheimer ist die häufigste Form von Demenz, und die Gedächtnistests, die ich durchgeführt habe, stimmen bislang mit dieser Diagnose überein.«
    Frank nickte grimmig. Da die beiden keine weiteren Fragen stellten, erzählte ich ihnen ein wenig über die Alzheimer-Krankheit und deren Auswirkungen auf die Gehirnzellen. Ich erklärte, die Erkrankung werde letztendlich zu weiterer Gedächtnisschwäche und vielleicht auch zu Verhaltensänderungen führen. Dabei versuchte ich, die beiden mit dem Hinweis zu trösten, es gebe einige Medikamente, mit denen man das Auftreten der Symptome verlangsamen könne. Vielleicht werde also nur eine allmähliche Verschlechterung des Zustands eintreten. Empfehlenswert sei, sich regelmäßig Bewegung zu verschaffen, was nachweislich die Gedächtnisleistung verbessere. Zum Schluss fügte ich noch hinzu, aller Wahrscheinlichkeit nach werde Ruth eines Tages
mit
ihrer Demenz sterben statt
daran.
    Ein schwacher Trost für zwei Menschen, die soeben erfahren hatten, dass ihr Leben nie wieder so sein würde wie vorher.
    Das Gespräch hatte beide sichtlich erschüttert. Nachdem wir eine

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