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Oscar

Oscar

Titel: Oscar Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: David Dosa
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noch für jemand anders Platz?«
    »Leider nicht, David. Los, Frank wartet auf Sie!«

    Meine erste Begegnung mit den Rubensteins hatte so unerfreulich geendet, dass ich ein wenig überrascht gewesen war, als ich die beiden wiedersah. Als ich die Diagnose gestellt hatte, war Frank wütend gewesen, und Ruth hatte Angst gehabt – eine klassische Kombination, die meist zur Leugnung der Tatsachen führte. Anschließend waren sie wahrscheinlich bei weiteren Ärzten gewesen, weil sie gehofft hatten, eine andere Antwort zu bekommen. Das tun viele, und ich würde mich wohl auch so verhalten. Vielleicht hatten sie sich auch einfach entschieden, gar nichts zu tun, aber es funktioniert immer nur eine gewisse Zeit lang, den Kopf in den Sand zu stecken. Jedenfalls erschienen sie etwa ein Jahr später wieder in meinem Sprechzimmer und kamen von da an regelmäßig.
    Eine Weile verliefen ihre Besuche durchaus positiv. Mit jedem Termin schienen sie die Diagnose besser zu akzeptieren, und sie taten ihr Bestes, damit umzugehen. Dann kamen Ruth allmählich viele der sozialen Fähigkeiten abhanden, die ihre Gedächtnisschwäche maskierten. Da es ihr peinlich war, sich immer schlechter an alles erinnern zu können, zog sie sich von ihren Freunden zurück, und das wiederum führte dazu, dass sie depressiv wurde. Dagegen halfen vorübergehend geeignete Medikamente, aber den fortschreitenden Verlust der kognitiven Fähigkeiten hielt das nicht auf. Nach einer Weile wurde es immer schwerer für Ruth, den Haushalt zu führen. Sie ließ wiederholt das Essen anbrennen und vergaß bald auch einfache Rezepte. Ihr Mann ging damit um, indem er Essen bestellte oder im Supermarkt Fertiggerichte besorgte. Als sie das Haus nicht mehr sauber machen konnte, stellte er eine Haushaltshilfe ein.
    Trotz dieser Entwicklungen hatten die beiden eine so liebevolle Beziehung, wie wir sie uns wohl alle wünschen. Frank hatte unglaublich viel Geduld mit Ruth, ein Zeichen für die tiefe Liebe, die im Lauf der Jahre zwischen den beiden entstanden war. Wenn sie einen Namen oder ein Ereignis vergaß, leistete er ihr behutsam Hilfestellung. Er verhätschelte sie regelrecht, bot ihr zum Beispiel immer die Hand, wenn sie vom Stuhl aufstand, oder den Arm, wenn sie gemeinsam den Flur entlanggingen. Eines Tages, als sie bereits ein Jahr lang regelmäßig zu mir kamen, zog Frank mich beim Abschied beiseite. Wie ein junger Kerl, der zum ersten Mal Kondome kauft, fragte er mich, ob ich wohl Proben irgendeines Mittels gegen Impotenz hätte. Das Liebesleben der beiden, erklärte er, sei nie besser gewesen, aber er habe Schwierigkeiten, Ruths tägliche sexuelle Bedürfnisse zu erfüllen. Bei Ehepaaren, bei denen ein Partner unter Demenz leidet, ist so etwas nicht ungewöhnlich. Als ich an diesem Tag nach Hause ging, grinste ich unwillkürlich vor mich hin. Wir meinen alle gern, unsere Eltern und Großeltern hätten keinen Sex mehr, weil so etwas für junge, dynamische Menschen reserviert sei. Merkwürdig, wie wenig wir wissen – oder wissen wollen.
    Mit der Zeit ließ Ruths mentale Leistungsfähigkeit immer stärker nach, und Frank war immer schlechter in der Lage, seiner zusätzlichen Verantwortung nachzukommen. Wenn er sie in die Sprechstunde begleitete, wirkte er zunehmend müder und ungepflegter. Es war klar, dass er sich inzwischen rund um die Uhr um seine Frau kümmern musste, und die Strapazen forderten ihren Tribut. Angesichts seines Zustands schlug ich behutsam vor, Frank solle in Betracht ziehen, eine Ganztagshilfe einzustellen oder seine Frau in einem Pflegeheim unterzubringen. Die Reaktion hätte ich vorhersagen können.
    »Wie können Sie bloß auf die Idee kommen, dass ich meine Frau in ein Heim gebe?«, stieß Frank hervor. »Sieht es etwa so aus, als könnte ich nicht alleine für sie sorgen?«
    Ich biss mir auf die Zunge und machte den Vorschlag, er solle wenigstens eine Helferin einstellen, damit er von Zeit zu Zeit aus dem Haus gehen könne. Das kam auch nicht besser an.
    »Wieso zahlt für so was eigentlich nicht die Krankenversicherung? Was meinen Sie denn, wie viel Geld ich in der Tasche habe?«
    Leider musste ich ihm sagen, die öffentliche Krankenversicherung werde die Kosten für die häusliche Pflege zwar nicht übernehmen, aber dadurch könne man die Einweisung in ein noch teureres Pflegeheim womöglich vermeiden.
    Dadurch geriet Frank völlig außer Fassung. »Da habe ich der Versicherung all die Jahre so viel Geld in den Rachen geworfen, und jetzt soll

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