Oscar
ich alles selber bezahlen?«, rief er aus.
Damit hatte er nicht unrecht. Ich war sogar seiner Meinung, aber das änderte gar nichts.
Trotz der schweren finanziellen Belastung stellte Frank einige Wochen später schließlich doch eine Hilfe ein. Leider half die zusätzliche Unterstützung nur eine kleine Weile. Fast drei Jahre nach dem Tag, an dem die beiden zum ersten Mal mein Sprechzimmer betreten hatten, erhielt ich einen Anruf aus der Notaufnahme der Klinik. Ruth hatte Lungenentzündung und musste stationär aufgenommen werden. Anfänglich reagierte sie gut auf die verabreichten Antibiotika, und ihr Zustand begann sich zu bessern. Am zweiten Abend ihres Krankenhausaufenthalts wurde sie jedoch extrem verwirrt. Ohne zu wissen, wo sie war, stieg sie mitten in der Nacht aus dem Bett und verhedderte sich dabei in ihren Infusionsschläuchen. Als sie durchs Zimmer gehen wollte, stürzte sie zu Boden. Dort wurde sie wenig später von einer Schwesternhelferin entdeckt. Als man sie röntgte, stellte man eine gebrochene Hüfte fest, die operiert werden musste.
Von nun an wurde es rasch immer schlimmer. Während der Rekonvaleszenz erlitt Ruth eine Lungenembolie und wurde dadurch noch schwächer. Ihr Blutdruck war instabil, ihr Atem ging nur mühevoll. Als sie zunehmend kurzatmig wurde, setzte ich mich mit Frank zusammen, um die Optionen für ihre Pflege zu besprechen. Wenn es so weitergehe, sagte ich, werde Ruth intubiert werden müssen, um besser atmen zu können, und das hatte sie mir gegenüber einmal abgelehnt. Deshalb sei es nun an der Zeit, darüber nachzudenken, sie gehen zu lassen. Wir würden uns gut um sie kümmern und dafür sorgen, dass sie ohne Schmerzen starb.
Mein Vorschlag stieß auf taube Ohren.
Ein Schlauch wurde in Ruths Luftröhre eingebracht, um die Atmung zu unterstützen, und sie wurde auf die Intensivstation verlegt. Mehrere Wochen später besserte sich ihr Zustand endlich, wodurch sich Frank in seiner Haltung bestätigt sah. Dennoch war sie so schwach, dass sie nicht mehr das Bett verlassen, geschweige denn alleine auch nur einen Schritt tun konnte. Nach weiteren Gesprächen mit ihrem Mann wurde sie in unser Heim verlegt.
Als ich einige Minuten nach der kleinen Konfrontation mit Frank Ruths Zimmer betrat, lag sie leise schnarchend im Bett. Auf dem Lehnstuhl daneben saß ihr Mann und hatte ebenfalls die Augen geschlossen. Offenbar hatte sein Auftritt am Stationszimmer ihn allerhand Kraft gekostet. Ich zog einen Stuhl heran und setzte mich daneben. Unter anderen Umständen hätte ich die beiden ihren Träumen überlassen, aber selbst wenn Frank nicht so auf meinen Besuch gedrängt hätte, gab es mehrere wichtige Fragen zu besprechen. Deshalb stupste ich ihn sanft an, worauf er zusammenzuckte und dann ein Auge öffnete. Bevor er sich aufsetzte, murmelte er etwas Unverständliches vor sich hin.
»Also, was wollten Sie mir sagen, Mr.Rubenstein?«, fragte ich.
»Sehen Sie sie doch an, Dr.Dosa! Sie ist nur noch Haut und Knochen. Ich komme jeden Mittag hierher, um sie zu füttern, damit sie überhaupt etwas isst. Aber in letzter Zeit kann ich sie einfach nicht mehr dazu bringen!«
Er deutete auf ein fast unangetastetes Sandwich, das auf einem Tablett lag. Die Schale Apfelmus daneben sah ebenfalls unberührt aus.
»Mr.Rubenstein, womöglich ist der Gewichtsverlust Ihrer Frau auf die Demenz zurückzuführen.«
»Doktor, wenn Sie mich wieder dazu bringen wollen, bei meiner Frau nur noch Hospizpflege zu machen, dann will ich das gar nicht hören. Das haben wir bereits hinter uns.«
»Es geht nicht darum, ob bei Ihrer Frau Hospizpflege angebracht ist oder nicht.«
Frank sah mich mit ruhiger Entschlossenheit an. Er war der edle Ritter, der die Tore ihrer Burg verteidigte, und ich war der Anführer einer angreifenden Barbarenhorde. Deshalb konnte es keine Übereinstimmung oder wenigstens einen Kompromiss zwischen uns geben. Das wusste ich, und vorläufig war das auch in Ordnung. Wahrscheinlich war Ruth tatsächlich noch nicht in einem Zustand, in dem eine reine Palliativ- oder Hospizpflege, also eine Beschränkung auf die Linderung von Symptomen, angebracht war. Es gab jedoch ein anderes drängendes Problem zu besprechen. War es sinnvoll, eine Reihe von Untersuchungen durchzuführen, um herauszufinden, weshalb Ruth Gewicht verlor?
Ich versuchte es mit einem anderen Blickwinkel.
»Frank, was meinen Sie, wie es Ihrer Frau eigentlich geht?«, fragte ich.
Die Frage überraschte ihn. Offenbar hatte er
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