Oscar
dabei war. Die haben bestimmt interessante Dinge zu erzählen.«
»Schaden kann das jedenfalls nicht«, erwiderte ich. Mir war gerade eingefallen, dass ich als Arzt möglichst auch über weitreichende detektivische Fähigkeiten verfügen sollte. Tatsächlich gleicht die Wissenschaft teilweise einer detektivischen Ermittlungsarbeit, und hier gab es ein Geheimnis zu entdecken.
»Also, bei wem soll ich anfangen?«, fragte ich.
»Wie wäre es mit jemandem, dem Sie vertrauen?«, schlug Mary vor.
»Donna Richards?«
»Das ist genau die richtige Wahl!«, sagte sie, sichtlich zufrieden mit ihrem Erfolg.
Es passte mir gar nicht, dass sie wieder einmal recht behalten hatte.
[home]
Katzen wissen immer, ob man sie mag oder nicht.
Allerdings ist ihnen das meist so egal, dass sie nichts
unternehmen, um etwas daran zu ändern.
Winifred Carrière
8
Z u sagen, dass ich Donna Richards vertraute, war eigentlich untertrieben. Zwischen uns herrschte ein Verhältnis wie das zwischen Sherlock Holmes und Dr.Watson oder zwischen Captain Kirk und seinem pflichtbewussten Ingenieur Scotty an Bord von Raumschiff Enterprise.
Wie jeder Mediziner bestätigen kann, ist eine gute Praxischefin Gold wert. Sie versteht es, mit Mitarbeitern und Kollegen umzugehen, ist den neuesten Vorschriften und Verordnungen immer einen Schritt voraus und sorgt dafür, dass nicht nur die wichtigen Telefonanrufe beantwortet werden. Sie kümmert sich darum, dass ordentlich abgerechnet wird und dass jeder sein Gehalt bekommt, und sorgt für den rechtzeitigen Nachschub des nötigen Materials, vom Zungenspatel bis zum Kopierpapier. Dabei hat sie eine jener undankbaren Positionen, in denen man nur bemerkt wird, wenn etwas schiefläuft. Wahrscheinlich ist es deshalb so schwierig, eine solche Stelle zu besetzen, und daher hatten wir sofort zugegriffen, als Donna Richards uns buchstäblich in die Arme lief.
Es war nun drei Jahre her, seit Donna ihre Mutter eines Morgens zur Sprechstunde gebracht und dabei eine meiner Kolleginnen beiläufig gefragt hatte, ob wir wohl eine Praxischefin bräuchten. Nach fünfzehn Jahren in Kalifornien war sie vor kurzem nach Rhode Island zurückgekehrt, um sich um ihre Eltern zu kümmern, und suchte eine Stelle. Ein glücklicher Zufall, dass die entsprechende Stelle bei uns gerade frei war.
Seit wir zusammenarbeiteten, saßen Donna und ich abends, wenn alle anderen nach Hause gegangen waren, oft noch in meinem Büro zusammen, um die Schreibarbeiten zu erledigen. Dabei kam es auch zu persönlichen Gesprächen, zum Beispiel über meine Kinder. Aus ihrer Erfahrung als Mutter heraus gab Donna mir allerhand Tipps, die in keinem Fachbuch zu finden waren. Ich wiederum war neugierig, wie sie den täglichen Balanceakt als alleinstehende, berufstätige Mutter bewältigte, die sich zudem noch um ein an Demenz leidendes Elternteil kümmern musste. Bei diesen abendlichen Gesprächen sah ich zum ersten Mal aus der Perspektive einer mir vertrauten Person, wie komplex die Fürsorge für Demenzkranke ist. Donna erzählte mir von den Kompromissen, die sie schließen musste, indem sie ihre Karriere aufgab, um in ihre Heimatstadt zurückzuziehen und ihre Mutter zu unterstützen. Sie sprach über die Schwierigkeiten, sich im Dschungel des Krankenversicherungssystems durchzusetzen, das sie von ihrer früheren Tätigkeit her nur zu gut kannte, damit ihre Mutter die bestmögliche Versorgung erhielt. Als typisches Mitglied der so genannten Sandwich-Generation stand sie wie Millionen andere vor der gewaltigen Aufgabe, gleichzeitig für ihren Nachwuchs und für ihre Eltern verantwortlich zu sein.
Nachdem ich von Donna so viel über diese Themen erfahren hatte, konnte sie mir vielleicht auch etwas Neues über Oscar berichten. Erst einmal mussten wir uns jedoch über andere Dinge aussprechen, denn schließlich war es zwei Jahre her, dass Donna uns verlassen hatte, um eine andere Stelle anzunehmen, und ein Jahr, seit ihre Mutter gestorben war. Es gab viel zu erzählen.
»In den Wochen nach dem Tod meiner Mutter bin ich nachts oft schweißgebadet aufgewacht«, berichtete Donna. Wir saßen in der Küche ihrer Wohnung in einem Vorort von Providence. »Meine Mutter ist mir im Traum erschienen. Sie war jünger, so wie ich sie aus meiner Kindheit kannte, und sie hat mich immer angeschaut und gesagt: ›Ich wollte ins Krankenhaus, aber du hast mich nicht gelassen. Wenn du mich bloß ins Krankenhaus gebracht hättest.‹«
Sichtlich mit den Tränen kämpfend, blickte
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