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Oscar

Oscar

Titel: Oscar Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: David Dosa
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und ging nervös im Raum umher. »Wissen Sie, David, das hat mich total aus der Fassung gebracht. Ich hatte den Eindruck, dass es den Leuten in der Klinik völlig egal war, wo meine Mutter landete. Man wollte sie nur so rasch wie möglich aus der Notaufnahme herausbekommen. Ich musste mich mit Händen und Füßen dagegen wehren, bis ich es schließlich über Beziehungen geschafft habe, einen Platz in einem anständigen Heim aufzutreiben. Und dort hat man meine Mutter nur deshalb aufgenommen, weil ich mehrere Ärzte kannte, die dort arbeiteten. Stellen Sie sich mal vor, ich hätte keine derartigen Beziehungen gehabt oder nicht mal gewusst, wo man Informationen über die Qualität verschiedener Heime findet! Das ganze System ist einfach völlig daneben.«
    Donna verstummte. Sie hatte Tränen in den Augen. »Wenn ich an diese Zeit zurückdenke, weiß ich manchmal nicht, wie ich es überhaupt geschafft habe. Ich musste für jeden einzelnen Tag einen exakten Terminplan aufstellen, sonst hätte ich nicht gleichzeitig zur Arbeit gehen, mich um meinen Sohn kümmern und für meine Mutter sorgen können.«
    »Das muss sehr schwer gewesen sein«, sagte ich.
    Sie sah mich an, als hätte ich gerade kundgetan, im Winter würde es hier in der Gegend häufig schneien. »David, falls man so etwas nicht selber durchgemacht hat, kann man es sich absolut nicht vorstellen. Ich hatte gar kein eigenes Leben mehr.«
    Bei jemand anders hätte so etwas nach Selbstmitleid geklungen, bei Donna waren es einfach die nackten Tatsachen.
    »Ich hatte kein eigenes Leben mehr, aber das war nicht einmal so schlimm. Damit konnte ich umgehen, weil ich begriffen habe, dass das eine meiner Aufgaben im Leben ist. Das Schlimmste waren die Schuldgefühle, weil ich nicht gleichzeitig für alle da sein konnte. Wenn ich meinen Sohn nicht beim Schwimmwettkampf anfeuern konnte, weil gerade irgendetwas mit meiner Mutter los war, habe ich mich schlecht gefühlt, und wenn ich doch zum Wettkampf gegangen bin, war es dasselbe. Manchmal habe ich mich so schuldig gefühlt, weil ich meine Mutter ins Pflegeheim gesteckt habe, dass ich auf der Heimfahrt von der Arbeit die ganze Zeit geweint habe. In einer guten italienischen Familie gehört es sich einfach nicht, die Eltern in ein Heim zu schicken.«
    Donna brachte ein halbes Lächeln zustande und zuckte die Achseln. »Letztendlich hatte ich wohl keine Wahl. Ich habe getan, was ich konnte.«
    Sie sah mich an, und ich merkte, dass sie alles gesagt hatte, was sie sagen wollte. Weiter würde sie nicht gehen.
    »Hören die Schuldgefühle denn nie auf?«, fragte ich.
    »Nicht ganz, nein. Und dann diese Träume …«

    Wir sprachen noch weitere zwei Stunden über dies und jenes, zum Beispiel über Donnas neue Arbeit und ihr gesellschaftliches Leben als alleinstehende Mutter, und ich erzählte von meiner Tochter, die gerade zur Welt gekommen war. Irgendwann warf ich einen Blick auf meine Armbanduhr und merkte, wie spät es geworden war. Ich erhob mich vom Stuhl und griff nach meiner Jacke.
    »Moment!«, sagte Donna und sah mich augenzwinkernd an. »Sie sind doch gekommen, um mich über Oscar auszufragen, und jetzt wären Sie fast gegangen, ohne das Thema auch nur anzusprechen.«
    »Na ja, unser Gespräch hat wohl eine andere Richtung genommen«, sagte ich. »Vielleicht bin ich bezüglich Oscars spezieller Fähigkeiten auch doch nicht so offen, wie ich dachte.«
    Donna lachte und deutete auf meinen Stuhl. »Setzen!«, sagte sie.
    »Na gut, Ms. Richards«, sagte ich mit meiner besten Reporterstimme. »Was halten Sie von unserem vierbeinigen Freund Oscar?«
    »Zuerst mal: Meine Mutter fand Katzen eigentlich grässlich«, begann Donna. »Früher hätte sie Oscar eins übergebraten, wenn er auf ihr Bett gesprungen wäre. Und das betraf nicht nur Katzen; meine Mutter mochte überhaupt keine Tiere. Sie konnte nichts mit ihnen anfangen. Als ihre Demenz allmählich immer schlimmer wurde, haben die Tiere auf der Station ihr aber irgendwie Trost gespendet. Ich weiß auch nicht, woran das lag, aber etwas hat sich total verändert. Es kam mir vor, als wäre meine Mutter auf einer tieferen Ebene empfänglicher für so etwas geworden. Hört sich das seltsam an?«
    »Überhaupt nicht. In letzter Zeit habe ich mir selbst eine Menge Gedanken über unsere Beziehung zu Tieren gemacht, besonders wenn wir sehr jung und sehr alt sind. Meinen Sohn zum Beispiel hat es immer zu Tieren hinge-zogen, schon als er noch gar nicht sprechen konnte. Dieselbe

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