Oscar
krank?«
Mary lachte. »Nein, viele Katzen sind ganz verrückt nach dem Zeug«, rief sie mir ins Ohr, um das Jaulen der beiden Tiere und das Lachen der Umstehenden zu übertönen. »Da ist irgendein Stoff drin, von dem sie richtig high werden.«
Perplex betrachtete ich Oscar, der mir in letzter Zeit geradezu wie ein weises, sphinxartiges Geschöpf mit geheimnisvollen Fähigkeiten vorgekommen war. Nun jagte er seinen eigenen Schwanz.
»Rauchen die das Zeug etwa?«, fragte ich.
»Ja, wissen Sie denn überhaupt nichts über Katzen?«, fragte eine Helferin, die neben mir stand. Tatsächlich hatte ich keine Ahnung, was Katzenminze war.
»Tja, ich habe eben nie eine Katze besessen«, sagte ich zu der Helferin.
Die lachte. »Niemand besitzt eine Katze, Dr.Dosa. Das läuft umgekehrt!«
Mary kam mir zu Hilfe. »Katzen rauchen so was natürlich nicht«, sagte sie, »sie wälzen sich nur darin. Was das bewirkt, sieht man hier.«
»Allerdings benehmen die sich wirklich, als hätten sie Drogen konsumiert«, sagte die Helferin.
Inzwischen hatte sich der Trubel etwas gelegt, und das Publikum verlor das Interesse an den beiden Clowns, noch bevor die Wirkung der Katzenminze sich verflüchtigt hatte. Als die meisten verschwunden waren, ging ich ins Stationszimmer, um meine Post durchzuschauen. Mary folgte mir.
»Wie ist das Gespräch mit Donna gelaufen?«, erkundigte sie sich.
»Aufschlussreich«, sagte ich. »Sie hat mir erzählt, ihre Mutter hätte Katzen überhaupt nicht gemocht, bevor sie Oscar kennenlernte. Eigentlich seien ihr alle Tiere zuwider gewesen.«
»Ist das nicht interessant?«, sagte Mary. »Dass man sogar vergessen kann, was einem früher zuwider war?«
»Ein alter Patient von mir, ein Ire, hat mich einmal gefragt, ob ich über die irische Form von Alzheimer Bescheid wüsste.«
Mary hob eine Augenbraue. »Und?«
»Man vergisst alles außer dem Groll, den man auf bestimmte Leute hat.«
»Na«, sagte Mary lachend, »ich glaube eigentlich nicht, dass die Iren auf so was ein Monopol haben.« Sie blickte hinaus auf den Flur, wo Oscar und Maya nach ihrem Rausch nun erschöpft auf dem Boden lagen.
»Außerdem hat Donna mir erzählt, wie froh sie war, dass Oscar am Ende bei ihrer Mutter gewesen ist«, fuhr ich fort. »Es war, als hätte er Donna die Erlaubnis gegeben wegzugehen. Später wurde ihr klar, dass ihre Mutter nicht sterben wollte, solange sie da war, also hat Oscar in gewissem Sinne beiden einen Dienst getan.«
»Das heißt, er war wie eine Brücke zwischen Mutter und Tochter«, sagte Mary.
»Ja, wie eine Brücke.« Gemeinsam betrachteten wir diesen scheinbar gewöhnlichen Hauskater, der draußen auf dem Teppichboden eingeschlafen war.
»Und nun?«, fragte Mary. »Werden Sie mit ein paar weiteren Angehörigen sprechen? Erinnern Sie sich noch an die zwei Schwestern, deren Eltern beide hier gestorben sind? Beim Tod der Mutter war Oscar auf jeden Fall dabei.«
»Rita und Annette«, sagte ich. »An die habe ich auch schon gedacht. Allerdings bin ich mir immer noch nicht sicher, was ich eigentlich erforschen will.« Ich sah sie an.
»Außerdem wäre da bekanntlich noch Jack McCul-lough«, sagte sie, ohne auf meine Zweifel einzugehen. »Und wie steht es mit Mrs.Ferretti? Hatten Sie zu der nicht ein besonders gutes Verhältnis?«
Es war nur zu deutlich, dass Mary meinem Forscherdrang ein wenig Auftrieb geben wollte. »Haben Sie mal
Citizen Kane
gesehen?«, fragte ich.
»Klar, ist aber schon eine Ewigkeit her.«
»Da geht es doch um einen Verleger, der unbedingt die Bedeutung eines Wortes erfahren will, an das er sich erinnert.«
»Stimmt!«, sagte Mary. »Am Ende stellt sich heraus, dass es der Name eines Schlittens war, den er als kleiner Junge hatte.«
»Ja, aber das erfährt nur der Zuschauer, als der Schlitten mit dem Wort darauf am Ende verbrannt wird«, sagte ich. »Der Verleger selbst bekommt nie etwas heraus.«
»Aber immerhin hat er es versucht!«
Ich zwinkerte und wechselte das Thema. »Also, bei wem muss ich heute Visite machen?«
Über das Wetter in Neuengland gibt es einen treffenden Spruch: »Wenn’s dir gerade nicht passt, dann warte einfach ein paar Minuten!« Wie sich herausstellte, war mein Tag im Heim genauso wechselhaft wie unser Klima. Kaum eine Stunde nach dem fröhlichen Getobe der zwei minzetollen Katzen lachte niemand mehr. Im Gegenteil, die Atmosphäre war regelrecht vergiftet.
Am Stationszimmer, wo vorhin beste Stimmung geherrscht hatte, stieß ich nun auf eine
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