Oscar
beschlossen, sie mit hierherzubringen, und gleich ein Ticket für sie gekauft. Seither haben wir uns wirklich bemüht, uns um sie zu kümmern, aber …«
Ana stockte, hob die Hände und ließ sie wieder sinken.
Gabriella nahm den Faden auf. »Ein paar Wochen später hat meine Mutter nichts mehr gegessen. Dann bekam sie Lungenentzündung. Jedes Mal, wenn es schlechter ging, hat eine von uns mit dem Hausarzt gesprochen, aber der hat uns einfach nach Hause geschickt. Sie ist depressiv, hat er zu mir gesagt, und mir ein Rezept mitgegeben. Sie hat Lungenentzündung, hat er zu Gabriella gesagt, dagegen helfen diese Antibiotika. Er hat uns bloß Pillen gegeben. Keine von uns wusste, was wir tun sollen. Wir haben neben dem Bett unserer Mutter auf dem Boden geschlafen, damit sie nicht mitten in der Nacht aufstand. Es war so erschöpfend! Vor einigen Monaten ist meine Mutter schließlich nicht mehr aufgestanden, also habe ich den Arzt gebeten, eine Physiotherapeutin zu schicken, um sie wieder in Bewegung zu bringen. Als die Therapeutin kam, hat sie sich bloß umgeschaut und gefragt, wieso wir uns nicht an ein Hospiz wenden. Das hat mich umgehauen. Ich weiß noch, wie ich abends bei Gabriella angerufen und sie gefragt habe, wieso die Therapeutin wohl von so was wie einem Hospiz gesprochen hat. Jetzt kommt einem das natürlich töricht vor, aber – ehrlich gesagt – damals hat keine von uns daran gedacht, dass unsere Mutter bald sterben könnte. Am nächsten Tag habe ich den Arzt angerufen und ihn darauf angesprochen. Er hat gesagt, an ein Hospiz hätte er noch überhaupt nicht gedacht.«
So, wie die Schwestern aussahen, hatten diese Monate ihren Tribut gefordert.
»Ich wünschte, die Ärzte würden den Leuten klarmachen, dass so etwas nicht nur für Leute da ist, die an Krebs sterben«, fuhr Gabriella fort. »Wenn jemand das Wort
Hospiz
hört, denkt er normalerweise nur daran. Aber unsere Mutter stirbt nicht an Krebs. Sie hat Demenz!«
Ich empfand viel Mitgefühl für die drei. Besonders tragisch war es, dass sie erst durch eine so beiläufige Bemerkung von der Möglichkeit gehört hatten, ihre Mutter in die Obhut eines Hospizes zu geben. Leider ziehen viele Ärzte das erst ganz am Ende in Betracht, weil sie selbst nicht genau Bescheid wissen. Sie haben keine Ahnung, dass Hospizpflege sich nicht darauf beschränkt, einen Patienten am Ende seines Lebens an eine Morphininfusion zu hängen. In Wirklichkeit kann eine solche Pflege eine unschätzbare Hilfe darstellen, eine echte Unterstützung in dieser Zeit. Im Hospiz gibt es Helferinnen und Helfer, die nicht nur während des Sterbeprozesses da sind, sondern auch den Angehörigen praktische und emotionale Unterstützung bieten. Außerdem kann ein Hospiz die notwendigen Maßnahmen in die Wege leiten, den Patienten zu Hause zu pflegen, selbst wenn es ihm schlechter geht. Das wirkt manchmal sogar lebensverlängernd.
»Es tut mir leid, dass Sie das alles durchmachen mussten«, sagte ich. »Hoffentlich gelingt es uns nun, Ihrer Mutter zu helfen, friedlich einzuschlafen.«
Gabriella sah mich an. »Wir wollten sie wirklich unbedingt zu Hause behalten«, sagte sie.
Ich nickte, denn ich verstand ihre Lage besser, als sie es sich wohl vorstellen konnten. Als ich von der verwahrlosten Wohnung ihrer Mutter gehört hatte, war mir meine Schwiegermutter eingefallen, die meine Frau und ich vor kurzem besucht hatten. Es sah ganz so aus, als hätten wir dasselbe vor uns wie die drei Frauen da, deren Erfahrung mir ein wenig Angst vor dem machte, was vor uns lag.
»Aber nun ist es gut, dass Ihre Mutter hier ist und dass Sie bei ihr sein können«, sagte ich zu den dreien. »Das ist es, worauf es ankommt.«
Im abgedunkelten Zimmer von Mrs.Matos war inzwischen eine Hospizschwester eingetroffen, um sich ein Bild zu verschaffen. Sie war jedoch nicht der einzige Besuch. Vor dem hellen Rechteck des Fensters sah man die Silhouette einer Katze, die übers Bett spazierte. Oscar war da. Ohne auf uns zu achten, nahm er die Patientin in Augenschein. Dann drehte er sich zwei-, dreimal um die eigene Achse, bevor er sich niederließ und den Kopf auf die Pfoten legte. Offenbar wollte er dableiben.
»Schau, Mama, da ist eine Katze!«, rief Freddy.
Ich warf einen Blick auf den Jungen. Zum ersten Mal war sein Gesicht lebendig geworden. Seine Augen glänzten.
»Das ist Oscar«, sagte ich.
»Wohnt der hier?«, fragte der Junge, während er zum Bett trat, um das Objekt seiner Neugier näher zu
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