Oscar
hat sie mir ins Gesicht geschlagen. Dann ist sie aufgestanden und aus dem Zimmer gerannt.«
An Franks linker Wange war noch ein roter Fleck zu sehen. Eine Weile saßen wir schweigend da.
»Doktor«, sagte Frank schließlich, »ich will nicht, dass meine Frau in einer solchen Angst lebt.«
Erstaunt sah ich ihn an. Er hatte aufgehört zu weinen. Seine Miene war streng und entschlossen, wie sie es damals im Lager gewesen sein musste. Nun begriff ich, weshalb er mir seine Geschichte hatte erzählen wollen.
»Werden Sie mir helfen, Doktor?«
Tief im Innern wusste ich, was er fühlte und worauf er hinauswollte. Was vorhin geschehen war, hatte ihm das Herz gebrochen. Die beiden hatten das Lager überlebt, sie hatten einen so langen gemeinsamen Weg hinter sich, und nun war er allein. Als ich mich in seine Lage versetzte, dachte ich einen Augenblick, wie leicht es doch sein könnte, den ärztlichen Eid zu brechen und zu tun, worum er mich bat.
»Nein«, sagte ich nach kurzem Zögern, »dabei kann ich Ihnen nicht helfen.«
Wieder entstand ein peinliches Schweigen, bis ich fortfuhr. »Mr.Rubenstein, Ihre Frau ist unheilbar krank. Körperlich geht es ihr in letzter Zeit wieder besser, aber wenn es so weit ist, können wir uns auf Hospizpflege beschränken und alles tun, um es ihr leicht zu machen.«
»Wie lange hat sie noch zu leben?«, fragte Frank.
»Das, Mr.Rubenstein, weiß nur der liebe Gott.«
Er ließ meine Antwort auf sich wirken. Ich fragte mich, was für ein Verhältnis er wohl zu Gott hatte. Vielleicht existierte der für jemanden, der so viel Schlimmes erlebt hatte, nicht mehr.
»Doktor, für mich ist meine Frau heute gestorben«, sagte er. »Bitte sorgen Sie dafür, dass der Mensch, der da noch übrig ist, nicht mehr leidet.«
»Das verspreche ich Ihnen, Mr.Rubenstein.«
Frank verzog den Mund zu einem halbherzigen Lächeln, erhob sich und verließ rasch das Zimmer. Als ich auf den Flur trat, sah ich ihn an seiner Frau vorbeigehen, die am Tisch der Schwesternstation saß. Er warf ihr keinen einzigen Blick zu, und sie sah ihn nicht. Stattdessen betrachtete sie den schwarz-weiß gefleckten Kater, der seinen Platz auf dem Fensterbrett verlassen hatte, um den Trubel zu inspizieren.
Ich ging zum Ausgang, um Frank Rubenstein mit meiner Ausweiskarte die Tür zu öffnen. Als er schon über die Schwelle getreten war, drehte er sich rasch noch einmal um, ergriff mich am Handgelenk und sah mir in die Augen.
»Danke für Ihre Hilfe in all den Jahren«, sagte er. »Ich weiß, ich war nicht immer besonders …« Er stockte, während ihm wieder Tränen in die Augen traten. »Bitte sorgen Sie einfach dafür, dass sie nicht leidet!«
Ich nickte, und er verzog die Lippen zu einem grimmigen Lächeln. Dann ging er davon.
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Selbst die kleinste Katze ist ein Meisterwerk.
Leonardo da Vinci
21
M it müden Augen betrachtete George Duncan seine Mutter. Noch vor wenigen Stunden war er weit weg auf einer Dienstreise in New Jersey gewesen; sein Beruf als Konkursverwalter brachte es mit sich, dass er häufig unterwegs war. Der Tag hatte ruhig begonnen, doch um vier Uhr nachmittags hatte er den Anruf erhalten, vor dem er sich schon lange gefürchtet hatte.
»George, Ihrer Mutter geht es gar nicht gut«, hatte Mary ihm berichtet. Normalerweise war er es, der im Heim anrief, und deshalb hatte er eigentlich schon Bescheid gewusst, als er die Nummer auf dem Display seines Mobiltelefons sah. »Ich glaube, Sie sollten so rasch wie möglich herkommen«, fuhr Mary fort.
Sogleich bedauerte er, seine Mutter allein gelassen zu haben. Fast jede Minute des vergangenen Wochenendes hatte er in ihrem Zimmer verbracht, weil er um ihren heiklen Zustand wusste. Dann jedoch war der Montag mit seinen Verpflichtungen gekommen. Die chronische Erkrankung seiner Mutter und die häufigen Krankenhausaufenthalte hatten ihm schon allerhand Probleme im Beruf bereitet. Als er nun das Telefon ausschaltete, spürte er, wie ihn Schuldgefühle plagten.
»Tut mir leid, aber ich muss heim«, sagte er zu seinem erstaunten Kollegen. »Es geht um meine Mutter.«
Als George kurz vor Mitternacht im Heim eintraf, war er erleichtert, dass eine alte Freundin der Familie vor der Tür saß, als würde sie diese bewachen.
»Ich habe ihn nicht hineingelassen«, sagte sie zu George und zeigte auf den schwarz-weiß gescheckten Kater, der ein Stück weit entfernt im Flur hockte. »Er sollte nicht vor dir bei deiner Mutter sein.«
Seit Stunden schon hatte sie
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