Osiris Ritual
Lösung.« Er blickte auf die Taschenuhr. »Ich nehme an, der alte
Peterson dürfte inzwischen an seinem Schreibtisch eingetroffen sein. Ich
glaube, das wäre eine gute Gelegenheit, ihn zu sprechen, ehe er wieder geht.«
Veronica lachte. »Ich wusste doch, dass Sie der Versuchung nicht
widerstehen können, die Sache genauer zu untersuchen.«
Newbury zuckte mit den Schultern. »Wir können doch nicht zulassen,
dass der junge Mister Purefoy die Sache landesweit als Sensation verkauft.
Irgendjemand muss ein wenig Vernunft ins Spiel bringen, und das wird wohl kaum
Winthrop sein.« Er stand auf. »Bis heute Abend dann?«
Veronica nickte. »Bis heute Abend.«
Newbury machte sich lächelnd auf den Weg zu Claude Peterson, einem
führenden Experten für altägyptische Rituale im British Museum. Er wollte den
Mann zu den seltsamen Inschriften befragen, die er am vergangenen Abend auf
einigen Uschebti-Statuen bemerkt hatte, und vielleicht fiel Peterson auch etwas
zu den roten Markierungen auf dem äuÃeren Sarkophag der Mumie ein.
Später wollte er dann in sein Haus in Chelsea zurückkehren und sich
auf den abendlichen Theaterbesuch vorbereiten. Er fragte sich, welche bizarren
Tricks der geheimnisvolle Alfonso aus dem Ãrmel schütteln mochte und was er in
einer etwaigen Vernehmung von sich geben würde. Der Fall der vermissten Frauen
war gewiss beunruhigend und hatte Veronica während der letzten Wochen stark in
Anspruch genommen. Um aller Beteiligten willen hoffte er, dass sie endlich den
Täter gefunden hatte und die Angelegenheit möglichst bald einen ordentlichen
Abschluss finden würde. Vor allem aber hoffte er, dass sich zugleich auch das
auflösen würde, was Veronica gerade bei diesem Fall so sehr aufgewühlt hatte.
Offensichtlich nahm sie sich das Schicksal der vermissten Frauen sehr zu
Herzen, und es gefiel ihm überhaupt nicht, sie leiden zu sehen.
4
Das Archibald Theatre in Soho war doch erheblich stärker
heruntergekommen, als Newbury es vermutet hätte. Tatsächlich unterschied es sich
so sehr von der erhabenen Pracht der Drury Lane, dass er es kaum über sich
bringen konnte, das Haus überhaupt als Theater anzuerkennen. Immerhin, es gab
eine Bühne, die jedoch, wenn man den Rest des Gebäudes betrachtete, vermutlich eigens
für diesen Auftritt gezimmert worden war, sowie einen Zuschauerraum, wo sich
die lärmende Menge niederlassen konnte. Der Rest der Ausstattung war, gelinde
gesagt, recht schlicht gehalten. Die Inneneinrichtung hatte gewiss schon
bessere Zeiten gesehen. Der Boden war klebrig, die Sitze unbequem, der Geruch
fast so unangenehm wie jener im Zugabteil am Morgen. Mehrere Gaslampen, die an
der Rückwand in Reihen befestigt waren, beleuchteten den Raum, der zwar
einerseits groà genug schien, aber andererseits überfüllt und wenig einladend
wirkte.
Seufzend lieà Newbury den Blick über das Publikum schweifen. Diese
Männer und Frauen waren vielleicht eine Stunde vorher aus Fabriken und Küchen
geströmt, schluckten nun auÃerordentliche Mengen an Gin und deckten den Magier
unablässig mit Sticheleien oder Hochrufen ein. Der Künstler schien jegliche Art
von Aufmerksamkeit zu genieÃen und reagierte auf die Jubelrufe des Publikums
mit immer beeindruckenderen Tricks. Bislang hatten sie eine ganze Reihe
gekonnter Illusionen gesehen â ein aus dem Ãrmel gezogener BlumenstrauÃ,
Kartentricks und Tauben, die unter einem roten Seidentuch verschwunden und
wieder zum Vorschein gekommen waren. Der geheimnisvolle Alfonso war ein
vollendeter Darsteller, der offenbar Jahre an seinem Auftritt gefeilt hatte und
sich hervorragend darauf verstand, das Publikum in seinen Bann zu ziehen. Der
starke italienische Akzent verlieh ihm ein exotisches Flair, und die
formvollendeten Verbeugungen nach jedem Tick â kreisende Bewegungen mit dem Arm
und eine rasche Verneigung in Richtung der ersten Reihe â zeigten, dass er
genau wusste, wie man dem Publikum das Signal zum Applaudieren gab.
Pï¬ichtschuldig überschütteten sie ihn mit Beifall.
Newbury lehnte sich auf dem unbequemen Sitz zurück. Die Vorstellung
war beeindruckend, enthielt aber nichts, was er nicht schon einmal anderswo
gesehen hatte. Je länger er inmitten des lärmenden Publikums saà und von den
Leuten hin und her gestoÃen wurde, desto gröÃer wurde seine Ungeduld. Er
wünschte sich, die
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