Osiris Ritual

Darbietung wäre bald zu Ende und er könnte mit Veronica
hinter die Bühne gehen, um den Künstler nach möglichen Verbindungen zu den vermissten
Frauen zu befragen. Er schüttelte den Kopf.
    Dann beobachtete er Veronica eine Weile. Sie war anscheinend von den
Tricks des Magiers ganz hingerissen, spendete ihm sogar an jeder passenden
Stelle zusammen mit den anderen Zuschauern lautstark Beifall und nahm die
Vorstellung als das unterhaltsame Spektakel, das sie sein sollte. Newbury
beneidete sie darum. Er sah sich außerstande, solch triviale Veranstaltungen
einfach zu genießen, ohne eingehend zu analysieren, wie der jeweilige Trick
bewerkstelligt wurde, was die Grundlage der Illusion war oder wie man das Auge
verführte, das Gegenteil von dem wahrzunehmen, was tatsächlich geschah. Was er
auf der Bühne beobachtete, war alles andere als geheimnisvoll, obskur oder
okkult. Auch war er überrascht, dass Veronica sich derart für die Darbietung
begeisterte, da sie das Theater ja aus einem durchaus ernsten Grund aufgesucht
hatten. Es sei denn natürlich, sie spielte die Begeisterung nur, um nach der
Vorstellung einen umso besseren Zugang zu Alfonso zu bekommen.
    Newbury konzentrierte sich wieder auf den Zauberkünstler. Alfonso
hatte einen großen, an einen Sarg erinnernden Kasten mitsamt fahrbarem
Untergestell mitten auf die Bühne geschoben. Newbury musste unwillkürlich an
den altägyptischen Sarkophag denken, den er am vergangenen Abend gesehen hatte,
auch wenn diese Vorrichtung aus schlichtem Holz gebaut war, dem die prächtigen Dekorationen
des ägyptischen Stücks fehlten. Nicht nur das, Alfonsos Kiste besaß außerdem
eine Reihe von Schlitzen, die in regelmäßigen Abständen die Seitenwände und den
Deckel durchbrachen.
    Der Magier baute sich hinter der Kiste auf, nahm den Zylinder ab und
gebot mit einer dramatischen Geste dem Publikum Schweigen. Stille senkte sich
über das Theater. Newbury sah sich zu Veronica um, deren Augen im schwachen
Licht schimmerten.
    Â»Meine Damen und Herren, nun ist der Augenblick gekommen. Deshalb
sind Sie meilenweit gefahren. Sie wollen die Schwertkiste des geheimnisvollen
Alfonso sehen, die dem Tode trotzt!« Der Magier zeigte
lächelnd alle seine Zähne, worauf das Publikum wieder lautstark jubelte.
Abermals winkte er, um die Leute zu beruhigen. Langsam und zur Untermalung der
nächsten Worte zupfte Alfonso die weißen Handschuhe ab, einen Finger nach dem
anderen, und musterte zugleich aufmerksam das Publikum. »Nun … gibt es denn
Freiwillige?«
    Zögernd gingen ein paar Hände in die Höhe. Alfonso spreizte die
Finger, spähte ins Publikum und dachte offenbar über die Angebote nach. Gleich
darauf entschied er sich für eine junge Frau in der zweiten Reihe. Sie war
blond und trug ein hellblaues Kleid. Der Mann, der links neben ihr saß, stand
auf, damit sie vorbeikam. Sie ging langsam durch die Sitzreihen zur Bühne.
Alfonso kam ihr entgegen und bot ihr hilfreich die Hand, als sie die Treppe
hinaufstieg und neben ihm stehen blieb. Er drehte sie einmal um die eigene
Achse und präsentierte sie breit lächelnd dem Publikum, damit alle sehen
konnten, dass sie keine heimliche Mitarbeiterin war und nichts Ungewöhnliches
an sich hatte. Die Menge applaudierte erwartungsvoll. Dann führte Alfonso die
Frau mitten auf die Bühne zu dem sargähnlichen Gebilde. Dort ließ er sie einen
Augenblick allein, um einen kleinen Hocker zu holen, den er vor ihr auf den
Holzboden stellte. Schließlich hob er den Deckel ab und legte das Innere der
Kiste frei. Er trat zurück und forderte sie auf hineinzusteigen.
    Die Frau war sichtlich nervös. Sie spähte über den Rand der Kiste,
als fürchtete sie, dort drinnen könnte sich irgendetwas Böses verstecken. Dann
sah sie sich über die Schulter um und suchte offenbar ihren Begleiter im
Zuschauerraum. Der Mann winkte ihr beruhigend zu. Zögernd stieg die Frau auf
den Hocker. Sie hob den Rocksaum, um nicht zu straucheln, stellte erst eines
und dann das andere Bein in die Kiste und stieg vorsichtig hinein. Schließlich
stand sie zitternd deutlich höher als Alfonso. Newbury fragte sich, was in ihr
vorging. Nach Luft schnappend und offenbar verängstigt kniete die Frau nieder,
legte sich in den offenen Sarg und war nicht mehr zu sehen. Alfonso handelte
schnell. Er nahm den Deckel, den er gerade erst abgezogen hatte, schob