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Osten, Westen

Osten, Westen

Titel: Osten, Westen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Salman Rushdie
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sagen wollte, die Geschichte eines einzigen Blattes Pergament ist – sowohl die Geschichte des Pergaments selbst als auch die Geschichte, die darauf niedergeschrieben ist.
     
    Es ist natürlich die Yorick-Saga; derselbe Bericht aus alten Tagen, welcher vor nahezu zweihundertfünfunddreißig Jahren einem gewissen – nein, einem höchst ungewissen – Tristram in die Hände fiel (der, obwohl Yseult-los, weder trist war noch ein Rambo, sondern ein ungestümer, oberflächlicher Shandy von einem Kerl) und welcher nunmehr in meinen Besitz gelangt ist, und zwar durch Umstände, die zu geheim sind, um sie dem wissbegierigen Leser vorzuenthalten. Wahrlich eine velluminöse Geschichte, die nicht nur abzukürzen ich mir vorgenommen habe, sondern darüber hinaus zu explizieren, annotieren, interpunktieren, palatinieren & permanganatieren, denn es handelt sich um eine Erzählung, die dem Gelehrten, der solch feinsinnige Technologien anzuwenden versteht, reichen Lohn einträgt. Staubgesichtig und tintenfingrig warten hier auf den Leser wunderschöne junge Ehefrauen, alte Toren, Hahnreitum, Eifersucht, Mord, Saft des verfluchten Bilsenkrauts, Exekutionen, Totenschädel; sowie eine ausführliche Erklärung dafür, warum der morbide Prinz in William Shakespeares «Hamlet» den Namen des eigenen Vaters nicht zu kennen scheint.
     
    Also beginnen wir: Wie es scheint, geschah es während der letzten Regierungsjahre des ruhmreichen Königs Horwendillus von Dänemark, dass dessen Obernarr, ein gewisser Magister Yorick, eine hübsche, goldhaarige Waise namens Ophelia zum Weibe nahm. Und damit begannen die Probleme ... Was
denn? Jetzt schon eine Unterbrechung? Hab ich Ihnen denn nicht gesagt, nicht erst vor einem Augenblick erklärt, dass der berühmte Hamlet, das heißt Amlethus von Dänemark, ganz und gar fehlgeht in der Annahme, der Geist heiße ebenfalls Hamlet? Ein Irrtum, der nicht nur ungewöhnlich, sondern auch unsöhnlich ist, nicht nur respektlos gegen den eigenen Vater also, sondern, wie man es ausdrücken könnte, schlicht und einfach unsaxogrammatisch, denn dieser Auffassung wird von keiner geringeren Autorität widersprochen als der «Geschichte Dänemarks» des Saxo Grammaticus. – Doch wenn Sie nun stillschweigen und mir endlich zuhören würden, wüssten Sie bald, dass dies keineswegs ein Irrtum war, sondern der geheime Schlüssel, mit dem die wahre Bedeutung unserer Geschichte im Handumdrehen dechiffriert werden kann.
    Ich wiederhole: Horwendillus. Horwendillus Rex ... Noch mehr Fragen? Natürlich hatte der Hofnarr eine Frau, Sir; sie mag in dem Stück des großen Dichters nicht vorkommen, aber Sie müssen doch zugestehen, dass die Ehefrau eine unabdingbare Einrichtung ist, wenn ein Mann eine Dynastie gründen will, wie denn sonst – beantworten Sie mir das! – könnte der Narr von Anno Tobak diese Linie begründet haben, diesen veritablen «Monolog der Yoricks», in dem der Hilfsgeistliche für den so unglücklich benamsten Tristram nur eine einzige kleine Silbe zur Verfügung hatte? Na also! Ich glaube, man braucht kein uraltes Pergament, um einzusehen, dass dies zutrifft. – Ihr Name? Großer Gott, Sir, da müssen Sie sich auf mein Wort verlassen. Wo sehen Sie da ein Rätsel? Glauben Sie etwa, dass dieses «Ophelia» ein so außergewöhnlicher Name war in einem Land, wo Männer Amlethus, Horwend etc., jawohl, und Yorick hießen? Also, fahren wir fort!
    Yorick heiratete Ophelia. Sie hatten ein Kind. Darüber wollen wir uns nicht weiter streiten.

     
    Was nun diese Ophelia betrifft: Sie war nicht einmal halb so alt wie er, sah aber mindestens doppelt so gut aus, daher fällt auf den ersten Blick ins Auge, dass alles, was folgt, auf Division und Multiplikation zurückzuführen sein dürfte. Summa summarum eine arithmetische Tragödie. Eine todernste Geschichte, die als Grabrede taugen würde.
    Wie ging es zu, dass dieser alte, winterkalte Narr eine so frühlingsjunge Braut erlangen konnte? Hier bläst ein stinkender Wind durch das alte Pergament. Ophelias Atem. Der übelriechendste Brodem im Staate Dänemark; ein lauwarmer Pesthauch von Rattenlebern, Krötenpisse, hautgoutbehafteten Wildvögeln, faulenden Zähnen, Gangrän, durchbohrten Leichen, brennendem Hexenfleisch, Kloaken, Politikergewissen, Skunklöchern, Gruften und sämtlichen Beelzebubkesseln der Hölle. Sodass sich jedes Mal, wenn diese jugendliche Schönheit, deren zarte, perfekte Züge den Männern die Augen übergehen ließen, auch nur ansetzte,

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