Osterfeuer (German Edition)
Betty mutmaßte, denn dort herrschte
ein fast unappetitliches Chaos und Margot hätte nie für einen Mann aufgeräumt oder
geputzt, geschweige denn ihm Frühstück gemacht oder ihm ein Candle-Light-Dinner
serviert. Trude hatte sich immer gefragt, ob die Diskretheit von Margots Beziehungen
allein auf ihrer Single-Philosophie fußte oder aber, ob sie aus der Not eine Tugend
machte. Über langjährige Zweierbeziehungen äußerte sich Margot meist höchst abfällig
und vermutete hinter jeder glücklichen Fassade stets eine Strindbergsche Hölle …
»Jedenfalls bin ich heilfroh, mal
für ein Wochenende diesem Irrenhaus entkommen zu sein. Aber das wirst du jetzt ja
auch alles kennen lernen dürfen, liebe Iris, in deinem neuen Job …«
Margot hob ihr Glas in Richtung
Iris und neigte in ironischer Hochachtung den Kopf.
»Als erstes musst du lernen, im
Privatleben dein Handy abzuschalten. Ich bin da echt gnadenlos! Meine junge Vertreterin
muss schon alleine klarkommen!«
Sie wandte sich an den Herrn des
Hauses:
»Es gefällt mir wirklich ausnehmend
gut auf deinem Hof, Franz! Hier könnte ich glatt der glitzernden Metropole entsagen!«
»Sag ich doch! Einen schöneren Platz
gibt’s für mich nicht auf der Welt. Darauf trinken wir noch einen! Darf ich jemandem
noch etwas nachschenken?«
Franz war ehrlich stolz auf seine
Heimat. Er goss eine Runde Madeira nach und man prostete sich zu.
»Was ist das eigentlich für ein
riesiges Zelt, das hinter der Scheune steht?«, fragte Iris, als die Gläser wieder
auf dem Tisch standen.
»Ja, das wollte ich auch schon fragen«,
nickte Betty.
»Hohoho, meine Damen! Sie haben
das große Glück einem der Glanzpunkte in Warstedts gesellschaftlichem Leben beiwohnen
zu dürfen!«
»Franz – gib doch nicht so an!«
Trude versetzte ihm sanft einen
liebevollen Knuff in die Seite.
»Wieso gebe ich an?«
Franz gab sich empört. »Es ist unbestritten,
dass unser alljährliches Osterfeuer und das anschließende Fest schon einen legendären
Ruf in unserer Gegend genießen! Seit über fünfundzwanzig Jahren ist der Ostersonnabend
ein fester Termin im Warstedter Kalender. Und alle werden da sein: Der Bürgermeister,
zwei von drei Zahnärzten, der Kioskbesitzer vom Markt, der Psychologe, unser Gärtner,
die Pastorin, unser Schwarzarbeiter Klaus, diverse Lehrkörperteile, die Wäschereibesitzerin
– soll ich weitermachen? Es ist, wie ihr seht, die Crème de la Crème unsres Städtchens!«
»Stimmt – es sind wirklich so gut
wie alle da, die hier wichtig sind oder sich dafür halten. Das ist hier halt anders
als in Berlin.« Trude seufzte. »Wenn du jemanden einlädst, weiß es gleich die ganze
Stadt und wehe du übergehst jemanden! So etwas wird hier sehr ernst genommen … Mir sind
da zu Anfang auch einige Fehler unterlaufen! Aber wenn du die Regeln beachtest,
lebt es sich hier ziemlich ungestört.«
Ach ja, ihre Anfänge in Warstedt!
Keine Ahnung hatte sie gehabt vom Leben in einem so überschaubaren und wohlgeordneten
Gemeinwesen. In einer Metropole wie Berlin, da kannte sie sich aus, aber die ungeschriebenen
Gesetze der norddeutschen Kleinstadtgesellschaft musste sie sich langsam und geduldig
erarbeiten. Hatte sie manchmal die Anonymität in der großen Stadt als beklemmend
empfunden, so war es hier das Bewusstsein, ständig unter Beobachtung zu stehen,
welches sie in der ersten Zeit irritierte. Doch je länger sie hier lebte und je
mehr Leute sie kennen lernte, desto mehr konnte sie dem auch Positives abgewinnen.
Hier interessierten sich die Menschen noch füreinander. Natürlich gab es auch eine
beträchtliche Fraktion von Moralaposteln und Tratschtanten, hinter deren vermeintlich
wohlmeinender Besorgtheit nichts als unappetitliche Neugierde, Sensationslust und
der Hang zu übler Nachrede steckte. Denen hieß es freundlich aber zurückhaltend
zu begegnen, damit man nicht in Ungnade fiel und sich ungewollt zum Mittelpunkt
ihres Interesses machte. Ansonsten waren ihr in den Jahren ihres Hierseins schon
eine Menge Hilfsbereitschaft und Fürsorge begegnet. Die Gesellschaft schien Trude
hier durchlässiger als in Berlin, wo man doch eher unter seinesgleichen verkehrte.
Auf so einem Fest wie dem morgigen trafen sich Jung und Alt, halb Warstedt feierte
miteinander ohne Ansehen der gesellschaftlichen oder beruflichen Position des einzelnen.
Natürlich pflegte man unterschiedlich intensive Beziehungen zu all diesen Leuten,
doch man sah sich regelmäßig und wechselte wenigstens hin und
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