Ostfriesenblut
was zu welcher Zeit.«
Ubbo Heide hatte das Telefongespräch mit seiner Mutter beendet. Er sah Ann Kathrin Klaasen an und wusste genau, was
in ihr vorging. Er selbst hatte seine Mutter zum letzten Mal an Heiligabend gesehen.
Heinrich Jansens Gesicht flog, getroffen vom Schlag, nach hinten. Er riss die Augen auf und sah ihm ins Gesicht.
»Komm, nicht einschlafen, Opa. Schau mich an. Wir werden jetzt ein paar schöne Vorher-Nachher-Fotos machen. Fein lächeln! Weißt du, du könntest längst frei sein, wenn die Kommissarin nicht so eine trübe Tasse wäre. Angeblich versteht sie ja so viel von der menschlichen Seele. Aber ich frage mich, wo sie bleibt.«
Er richtete seine Digitalkamera aus. »Mach die Augen nicht zu. Reiß sie schön weit auf. Du musst keine Angst haben, den Rote-Augen-Blitz-Effekt mach ich hinterher weg. Ja, ein richtiges Fotomodell wird aus dir nicht mehr, das sehe ich schon. Komm, lächle mal für unsere Kommissarin. Oder streck ihr wenigstens die Zunge raus. Zeig ihr, dass du sie magst. Fleh sie um Hilfe an. Wenn sie nicht bald kommt, bist du erledigt, alter Mann. Lange hältst du das nicht mehr durch, das weißt du doch. Ich werd dir jetzt noch was zu essen machen, damit du uns nicht abkratzt, bevor die Party zu Ende ist. Und dann muss ich dich leider alleine lassen. Ich hab noch was zu tun. Unsere Kommissarin wartet auf mich.«
Er machte im Internet alle paar Stunden eine Handyortung, um herauszufinden, wo sie sich befand. Ihre neue Position in Jever befriedigte ihn sehr. Sie versetzte ihn in einen Zustand von Aufgeregtheit. Endlich hatten sie die Hexe in Jever gefunden! Ann Kathrin Klaasen befand sich in der Straße, direkt vor dem Haus, und sie benutzte gerade ihr Handy.
Jetzt würde das Spiel erst richtig beginnen. Auch der letzte Idiot bei der Mordkommission Aurich hatte jetzt kapiert, mit wem sie es hier zu tun hatten.
»Ab jetzt«, sagte er zu sich selbst, »wirst du Zeit für mich haben, Ann Kathrin. Immer. Jede Menge. Komm! Such mich.«
Sie roch zunächst Ruperts Atem, dann erst hörte sie seine Worte.
»Ich weiß, dass ich dir damit auf den Keks gehe, Ann Kathrin, aber wir können nicht ignorieren, dass die Hauptverdächtige noch immer im Krankenhaus liegt und von uns nicht mal vernommen worden ist. Sie kann diesen Mord hier vor vierzehn Tagen begangen haben. Lange vorher. Als so eine Art Probelauf.«
»Sofern sie die Tote überhaupt kennt«, konterte Ann Kathrin.
»Ich weiß nicht, warum du diese Frau so sehr in Schutz nimmst. Ich finde das schrecklich unprofessionell.«
»Wir haben es mit einer Serie zu tun, Rupert. Nicht mit einer Familientragödie.«
»Ann Kathrin, deine Verdienste in allen Ehren, aber was ist denn, wenn die Dame im Krankenhaus viel cleverer ist, als wir alle ahnen? Vielleicht hat sie erst einen Mord begangen, damit das alles aussieht wie eine Serie. Vielleicht wird sie sogar noch einen dritten begehen, nur damit die Kripo glaubt, ihre Mutter sei einem Verrückten zum Opfer gefallen.«
Ann Kathrin überlegte, was dagegen sprach, Rupert einfach das Verhör machen zu lassen. Sie konnte Weller mitschicken. Sie musste ja nicht unbedingt selbst dabei sein. Ab jetzt standen ihnen ohnehin unbegrenzte personelle Möglichkeiten zur Verfügung.
»Okay«, sagte sie. »Nehmt sie euch vor, sobald sie vernehmungsfähig ist.«
Rupert atmete erleichtert durch. Wie um ihm den Triumph zu nehmen, betonte Ann Kathrin: »Ich sagte, wenn sie wieder vernehmungsfähig ist. Ich will keinen Ärger, Rupert. Ist das klar?«
»Ja«, sagte er. »Wir sind alle Idioten, und du bist der weibliche Sherlock Holmes. Ich weiß.« Er versuchte, es runterzuschlucken, aber er konnte es nicht. Etwas in seinem Naturell sprach dagegen. Es platzte aus ihm heraus: »Ist das alles eine PMS -Nummer, oder was?«
Ann Kathrin sah ihn empört an.
»Ich meine, kriegst du deine Tage, oder sind das schon die Wechseljahre?«
»Es reicht, Rupert«, keifte sie, und er freute sich tierisch, sie so auf die Palme gebracht zu haben.
Die große Dienstbesprechung in Aurich empfand Ann Kathrin Klaasen als deprimierend. Sie konnten keine Verbindung zwischen den beiden Frauen herstellen. Im überprüfbaren Zeitraum gab es keine Telefongespräche zwischen ihnen. Obwohl die Kollegen in Jever ein beeindruckendes Potenzial an Beamten bereitgestellt hatten, um die Nachbarn nach Frau Orthner zu befragen, hatte niemand sie je in der Nähe von Frau Landsknecht gesehen. Auch in Frau Orthners Umgebung war
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