Ostfriesenblut
glücklich werden. Aber hier ging es um ihr Kind, und ihr Kind gehörte zu ihr und nicht zu ihrem Mann und dieser … Susanne Möninghoff.
Um weder sich noch ihrem Mann irgendwelche Ausweichmanöver möglich zu machen, fuhr sie einfach hin. Es war kurz nach 22 Uhr und noch angenehm warm. Vom Meer her kam ein frischer Wind. Es war schönstes Nordseewetter für einen Spätsommer.
Als Ann Kathrin im Nordholz in Hage aus dem Wagen stieg, machten Möwen über ihr ein irres Geschrei in der Luft. Sie bezog das auf sich. Passte es den Möwen nicht, dass sie in dieser Straße parkte? Sie fühlte sich abgelehnt und unerwünscht.
Sie sah noch einmal zu den Möwen hoch. »Ich weiß«, sagte sie, mehr zu sich selbst als zu den Möwen, »ihr könnt nichts dafür.«
Sie roch es, bevor sie es sah. Natürlich, auch das noch. Sie grillten im Garten. Es waren junge Leute, Ende zwanzig, Anfang dreißig. Ann Kathrin kam sich sofort schrecklich alt vor. Außerdem ein paar Teenies in Eikes Alter. Die beiden wussten, wie man so einen Jungen gar kochte.
Eike stand am Grill und wendete die Steaks. Neben sich zwei dreizehn- oder vierzehnjährige Mädchen, die ihn anhimmelten. Gab er vor ihnen etwa damit an, wie er seine Deutschlehrerin fertiggemacht hatte?
Ann Kathrin wusste gleich, dass ihr Besuch jetzt keinen Sinn hatte. Sie konnten das unmöglich vor all diesen Leuten verhandeln, und sie zweifelte auch daran, dass Hero bereit war, sich mit ihr und Eike still in ein Zimmer zurückzuziehen, um unbeobachtet zu reden.
Eike hatte sie natürlich längst bemerkt, aber ihr Sohn tat so, als würde er seine Mutter nicht sehen. Ich bin ihm peinlich,
dachte Ann Kathrin. Ich verderbe ihm den Spaß mit seinen neuen Freundinnen. Ich mache alles falsch …
Hero winkte ihr, so als fände er es ganz schön, wenn sie jetzt dazukäme. Wie gut er mich kennt, dachte sie. Er weiß genau, dass ich keine Lust habe, mich zu seinen Freunden zu gesellen.
Darf ich vorstellen – das ist meine Frau. Sie war leider im Bett nicht ganz so gut wie meine neue Geliebte, hahaha!
Nein, sie wollte ihm keine Gelegenheit geben, sie in irgendeiner Weise vorzuführen. Der Tag war hart gewesen, und sie fühlte sich kaum noch in der Lage, vor Publikum zu streiten.
Jetzt tat es ihr leid, Frank Weller nicht mitgenommen zu haben. Der Gute hatte ihr angeboten, sie zu begleiten. »Manchmal wird alles einfacher, wenn ein Dritter dabei ist. Ich will mich nicht als Mediator aufspielen, dazu bin ich bestimmt eine ungeeignete Person, aber ich kenne das von meiner Renate und mir. Wir haben uns einfach mehr zusammengerissen, wenn eine dritte Person dabei war.«
Sie wünschte sich ihn jetzt einfach als Verstärkung herbei. Sie fühlte sich merkwürdig einsam, obwohl ihr Sohn und ihr Mann da waren.
Natürlich – da war sie: Susanne Möninghoff. Sie stolzierte direkt auf Ann Kathrin zu. Sie lächelte und hatte diesen Hüftschwung, der aller Welt sagen sollte:
Ich habe ein schönes Sexualleben. Mit mir macht es Spaß im Bett
.
Komm nur, dachte Ann Kathrin Klaasen, und sie bereitete sich jetzt innerlich auf alles vor. Vielleicht würde Heros Busenwunder ihr gleich eine reinhauen und hier, vor all den Gästen, eine Schlägerei mit ihr anfangen. – Nun, sollte sie nur. Die konnte sie nicht gewinnen.
Vielleicht hätte eine solche Rauferei Ann Kathrin jetzt sehr gutgetan. Sie fragte sich, was Eike in dieser Situation tun würde. Würde er zu seiner Mutter halten? Oder zur neuen Geliebten von Papa? Würde er bei seinen Freundinnen stehen bleiben?
Versuchen, den Streit zu schlichten? Oder sich einfach nur schämen?
Ann Kathrin rechnete mit vielen Bösartigkeiten, nur nicht damit, dass Susanne Möninghoff in ihrem hellblauen, arschkurzen, tief ausgeschnittenen Sommerfähnchen mit strahlend falschem Lächeln sagte: »You are welcome. Ich find’s klasse, dass du kommst.«
Sie tat, als sei sie schon so oft in Amerika gewesen, dass ihr manchmal diese Sätze einfach so rausrutschten, schüttelte den Kopf und übersetzte, als ob Ann Kathrin es nicht verstanden hätte: »Herzlich willkommen. Fühl dich wie zu Hause. Ich find’s schön, dass du kommst. Wer weiß, wenn sich die Wellen ein bisschen geglättet haben und die Emotionen gelegt, vielleicht können wir ja Freundinnen werden. Ich wüsste nichts, was dagegen spräche. Für Eike und Hero wäre es bestimmt das Beste.«
Es war wie ein Tiefschlag in die Gedärme. Du falsche Schlange, dachte Ann Kathrin, du willst mich mit deiner Umarmung
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