Ostfriesenblut
hier aus konnte für ganz Ostfriesland ein Einsatz geleitet werden. Jeder Tisch hatte ein integriertes Telefon, Sprechfunk und Computeranschlüsse.
»Wir wissen inzwischen schon mehr über Herrn Jansen. Wir haben bei Google seine Biographie gefunden. Er war bis 1987 Heimleiter. Wir wissen noch nicht genau, wo, aber irgendwo in Ostfriesland.«
»Was soll das heißen?«, fuhr Scherer dazwischen. »Was sind das für vage Angaben?«
»Es ist nur das, was bei Google steht«, antwortete Ann Kathrin Klaasen. »Mehr haben wir noch nicht. Heimleiter in Ostfriesland. Hielt Vorträge über Schwarze Pädagogik, galt als einer der führenden Vertreter dieser Richtung. 1986 wurde er pensioniert. Sein letzter Wohnort war Wittmund.«
»Er muss sich doch irgendwohin umgemeldet haben.«
»Natürlich. Das überprüfen wir gerade. Ich glaube allerdings nicht, dass er in seiner eigenen Wohnung gefangen gehalten wird. Die Bilder sind untypisch. Es ist in einem Keller. Vielleicht ein alter Bunker oder so etwas.«
Scherer beschwerte sich: »Es kann doch wohl nicht so ein Problem sein, seinen letzten Aufenthaltsort zu bestimmen. Der Mann hat doch Kinder, Enkel, irgendwas.«
»Klar«, grinste Rupert, »und Jansen ist in Ostfriesland ja auch ein sehr seltener Name.«
Ubbo Heide massierte sich die Schläfen.
»Wir recherchieren mit Hochdruck seinen Lebenslauf und die mögliche Verbindung zu den beiden ersten Opfern.«
»Haben wir eine Theorie?«
Weller hoffte, dass Ann Kathrin jetzt nein sagen würde, doch sie tat es nicht. Häng dich nicht zu sehr aus dem Fenster, dachte er. Aber sie sprach ganz ruhig, wie jemand, der gewohnt war, über dünnes Eis zu gehen, und dabei eben manchmal riskierte, einzubrechen.
»Ich könnte mir vorstellen, dass einer seiner ehemaligen Zöglinge sich rächt.«
»Das ist doch jetzt reines Spekulatius«, schimpfte Staatsanwalt Scherer.
»Die Schwarzen Pädagogen«, sagte Ann Kathrin Klaasen, »arbeiteten gerne mit dem Rohrstock. Bitte denken Sie an die Verletzungen in der Hand von Frau Landsknecht. Mit dem Rohrstock auf die Finger zu schlagen war eine ganz übliche Methode. Die Kinder mussten die Hände ausstrecken und abwarten, bis der Schlag kam. Wer sie wegzog, bekam ein paar Schläge mehr. Heinrich Jansen hat das ausdrücklich empfohlen. Auch das Fixieren von Kindern an Stühlen oder Bänken gehörte dazu.«
»So sind die damals mit hyperaktiven Kids umgegangen«, lästerte Rupert und sah ganz so aus, als wüsste er ein paar Kinder, mit denen er das am liebsten genauso machen würde.
»Wenn der Täter früher eines von Jansens Heimkindern war, dann könnte er jetzt zwischen dreißig und vierzig Jahre alt sein. Wenn wir das Heim ausfindig gemacht haben, dürften wir den Täter dort in der Ehemaligenkartei finden.«
»Ja«, lachte Scherer bitter, »und wenn wir Glück haben, liegt an Weihnachten auch Schnee. Ich finde das alles wenig professionell.«
Da bekam Weller die Information aus Oldenburg, die er brauchte, per SMS auf sein Handy. Er räusperte sich: »Wir haben heute Morgen schon eine Menge Leute aus den Betten gescheucht. Ratet mal, was Frau Orthner für einen Beruf gelernt hat … Genau. Sie war Kindergärtnerin. Während ihrer ersten Ehe hat sie in einem Heim gearbeitet. Etwas für schwererziehbare oder halbkriminelle Jugendliche.«
Ann Kathrin sprang auf. »Das ist es!«, rief sie. »Das ist die Verbindung! Lasst uns zu dem Heim fahren! Sofort!«
Ubbo Heide hatte Magenschmerzen bei all diesen Geschichten. Es gab gute Gründe, warum Polizeiaktionen, Verhaftungen
und Verhöre nicht mehr im Morgengrauen stattfanden, sondern immer zu zivilisierten Zeiten. Nach sechs oder sieben Uhr morgens. Aber hier war Gefahr im Verzug, und da konnte es kein Zögern geben.
Susanne Möninghoff küsste ihren Hero auf die Nase und verließ das körperwarme Bett.
»Nicht doch … Willst du jetzt wirklich laufen?«, fragte er.
»Ja. Ich brauche das für den Kreislauf, und später wird es mir zu heiß. Du glaubst gar nicht, wie toll das ist am Deich, wenn die Sonne aufgeht. Willst du nicht doch mitkommen?«
Er reckte sich. »O nein. Ganz bestimmt nicht.«
Susanne Möninghoff zog ihren Jogginganzug an und schlüpfte dann in die Pumas mit den silbernen Streifen. Sie nahm ein Stirnband mit, um ihre Ohren gegen den Wind zu schützen. Sie freute sich aufs Laufen.
Sie fuhr nach Norddeich zum Hafen. Die Frisia IV lag still an der Landungsbrücke. Einige Krabbenkutter schaukelten verlassen im Wind.
Susanne
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