Ostfriesenblut
Badezimmer und putzte sich die Zähne. Die anderen mussten ja nicht riechen, dass sie gerade einen Schnaps getrunken hatte. Sie wollte nicht auch noch als Alkoholikerin dastehen.
»Ich will mir beide Wohnungen ansehen«, sagte sie. »Allein.«
Scherer schüttelte den Kopf. »Ich mag diese Alleingänge nicht.«
Ubbo Heide verteidigte Ann Kathrin sofort. »Das hat schon oft sehr viel gebracht. Ich darf Sie nur an Jever erinnern.«
Scherer hatte dafür nur einen spöttischen Blick übrig.
»Du kannst doch jetzt nicht alle Kollegen alleine in deinem Haus lassen«, wandte Weller ein.
»Bleib du hier«, sagte sie. »Ich fahr sowieso lieber allein.«
Er verstand sie nicht, aber er ließ sie gehen, wenn auch mit unguten Gefühlen.
Die Tür im Distelkamp 13 war noch nicht ganz hinter Ann Kathrin Klaasen ins Schloss gefallen, da zog Rupert Weller schon auf: »Du wohnst doch praktisch hier. Kannst du dann nicht ein bisschen für Verpflegung sorgen? Ein paar Schnittchen und einen Kaffee … du hast doch bestimmt schon eine gute Espressomaschine hier aufgebaut, oder nicht?«
Er beobachtete das Haus jetzt seit knapp zwei Stunden. Von der Nordsee wehte ein angenehmer Wind. An keiner Ecke des Landes wäre er jetzt lieber gewesen als hier. Er war dieses Wetter gewöhnt. Er fand, er gehörte hierhin. Hier war es im Sommer meist fünf oder zehn Grad kühler als in Süddeutschland. Das machte alles erträglich. Und selbst wenn die Sonne noch so vom Himmel ballerte, brachte der Wind, der ungehindert durch die flache Landschaft pfiff, frische Atemluft.
Da wohnte sie also – Susanne Möninghoff. Die Frau, die Ann Kathrin Klaasen solche Probleme bereitete.
Ja, er würde sie erziehen, so, wie er erzogen worden war. Mit Strenge und mit Schmerzen. Schon sehr bald würde er ihren Willen brechen.
Vor einer halben Stunde war sie aufgestanden und mit zerwühlten Haaren in die Küche gegangen. Sie hatte überall Licht gemacht, wie eine Schauspielerin, die die Scheinwerfer braucht. Selbst jetzt, verpennt, wie sie war, schritt sie majestätisch daher.
Eingebildete Kuh, dachte er. Eitelkeit war eine Todsünde, die nur mit Demut bekämpft werden konnte.
Sie war zur Toilette gegangen und hatte sich aus dem Kühlschrank einen Orangensaft geholt. Sie trug keinen Schlafanzug wie normale Menschen, sondern ein fliederfarbenes, kurzes Nachthemd mit schwarzen Spitzen und dünnen Spaghettiträgern. Ach was, das war kein Nachthemd. So ging niemand schlafen. So verführten Frauen Männer. Huren! Das war Nuttenkram.
Du wirst Ann Kathrin keine Schwierigkeiten mehr machen, dachte er. Bald wird sie Zeit haben für mich. Nur für mich.
Am liebsten hätte er Susanne Möninghoff gleich mitgenommen, doch er war noch nicht gut genug vorbereitet, und es bestand die Chance, dass sie Theater machte. Ann Kathrins Mann und ihr Sohn schliefen hier im Haus. Auch rundherum wohnten überall Leute. Man hätte ihre Schreie sofort gehört. Es war eine ruhige Gegend.
Er stand jetzt in ihrem Garten und ging auf die Terrasse. Er sah sich den Holzkohlegrill an.
Was bist du nur für eine miese Schlampe, dachte er. Du hast das Ding benutzt, aber hinterher nicht saubergemacht.
Bratfett klebte am Rost. In der Asche lag eine verkokelte Wurst. Auf dem Boden standen Ketchupflaschen. Eine hatte sie nicht mal zugedreht.
Ja, sie war ein böses Mädchen. Sie brauchte eine strenge Erziehung.
Er fragte sich, was Heinrich Jansen dazu sagen würde. Vielleicht würde es ihm Spaß machen, sie zu erziehen. Vielleicht konnte er von dem großen Meister noch etwas lernen. Oder sollte er Heinrich Jansen erst umbringen und die Leiche in Ann Kathrins schönen Twingo legen, damit sie sich mit dem Suchen nicht so viel Mühe machen musste?
Ann Kathrin fuhr zwischen den beiden Windmühlen und an der großen Doornkaatflasche vorbei, die sie am Ortseingang Norden daran erinnerte, dass es vielleicht nicht so klug war, auf nüchternen Magen einen Schnaps zu trinken und dann loszufahren.
Der alte Bahnhof war endlich abgerissen worden, und im neuen gab es sogar einen Burger King. Angeblich hatte der Laden bis drei Uhr morgens auf. Für einen Moment geriet sie in die Versuchung, anzuhalten und schnell einen doppelten Cheeseburger zu essen, aber dann entschied sie, dass dafür jetzt keine Zeit war.
Sie fuhr über die B 72 bis Georgsheil und bog dann auf die B 210 ab Richtung Wittmund/Jever. Es war praktisch kein Verkehr. Sie hätte genauso gut auf der linken Spur fahren können, was sie
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