Ostfriesengrab
wurde es heiß. Er sprang auf und rannte im Büro hin und her.
»Ubbo, ich … ich weiß nicht, ob ich jetzt völlig auf dem falschen Dampfer bin. Immerhin sind wir alte Freunde, Klassenkameraden und … «
»Raus mit der Sprache, Weller.«
»Das Ganze passt überhaupt nicht zu ihm. Aber ich kann nicht übersehen, dass … «
»Red nicht ständig um den heißen Brei herum! Also, was ist los?«
»Er kennt Professor Diebold. Er hat damals bei dessen Umzug von Karlsruhe nach Münster geholfen. Also sind ihm die Bilder, von denen Ann Kathrin meint, sie seien der Auslöser dafür, dass der Täter Christina Diebold in der Mülltonne verstaut hat, bekannt.«
Jeder einzelne Punkt war für sich genommen noch kein Beweis gegen Heiner Zimmermann. Alles zusammengenommen, ergaben sich wichtige Verdachtsmomente.
»Jetzt bloß nichts übereilen«, mahnte Ubbo Heide. »Wir haben uns in dieser Sache schon einmal zu sehr von der Wunschvorstellung leiten lassen, den Mörder endlich zu kriegen. Wir haben sein Haus gestürmt und … «
»Ja, das wird wohl keiner von uns so schnell vergessen«, gab Weller zu. »Vielleicht sind wir mit unseren Ermittlungen auch einfach zu eng, zu fokussiert auf ein paar Personen. Dadurch gerät anderes aus dem Blickfeld.«
»Ich hab ein mieses Gefühl bei der ganzen Sache, Weller. Der Kerl legt uns bald das nächste Opfer vor die Füße. Und wir sitzen hier starr wie hypnotisierte Kaninchen.«
»Ich kann heute Abend ja mal bei Heiner vorbeigehen und … «
»Und ein Bier mit ihm trinken, oder was?«, regte Ubbo Heide sich auf. »Ich glaube, wir müssen da ganz andere Saiten aufziehen. Oder endgültig die Finger von ihm lassen.«
Noch bevor sie sich an irgendetwas erinnerte, wusste sie, dass sie nackt war. Ihre Zunge war so dick geschwollen und pelzig, dass es ihr schwerfiel, durch den geöffneten Mund zu atmen. Sie konnte die Bewegungen der Zunge nicht wirklich beeinflussen. Wenn sie versuchte, Laute zu formulieren, fiel die Zunge nach hinten in den Hals. Sie hatte Angst, an ihrer eigenen Zunge zu ersticken. Sie drehte den Kopf zur Seite und versuchte, die Zunge so zu platzieren, dass sie besser Luft bekam.
Es war stockdunkel um sie herum, und außer ihren eigenen kleinen Bewegungen und dem Klopfen ihres Herzens war kein Ton zu hören.
Panik breitete sich in ihr aus. Sie begann zu zittern. Dann wurde es mehr, ein Beben des ganzen Körpers.
Ein Gedanke fraß alle anderen auf: Liege ich in einem Sarg? Hat er mich betäubt und lebendig beerdigt?
Ihre Arme waren weit gespreizt und ihre Hände gefesselt. Das sprach gegen einen Sarg. Solche Ausmaße hatte kein Sarg.
Sie versuchte, ihren Kopf so weit zu drehen, dass sie mit der rechten Wange das Tuch spüren konnte, auf dem sie lag. Es war ein Plastiklaken, wie die billigen Wachstischdecken ihrer Mutter, mit denen sie werktags, wenn sie keinen Besuch erwartete, die Holzplatte des Tisches schützte. Sie wusste genau, dass sie nur eine Chance hatte, wenn die Kommissarin in ihr die Oberhand behielt. Sie durfte sich jetzt nicht zum Opfer machen, egal, ob sie längst ein Opfer war oder nicht.
Also kein Sarg. Aber die Wachstuchunterlage, auf der sie lag, sprach dafür, dass er sie hier ermorden wollte. Er rechnete mit einer ziemlichen Sauerei. Hinterher könnte er dann alles abwaschen.
War das, worauf sie lag, der Müllsack, in dem sie entsorgt werden würde?
Er hat seine Opfer nicht verhungern lassen. Er wird also irgendwann wiederkommen, und dann entscheidet sich mein
Schicksal. Soll ich ihn bitten, mir etwas zu trinken zu geben? Oder muss ich damit rechnen, dass er mir wieder irgendeinen Mist einflößt, der mich ausknockt?
Ann Kathrin entschied sich dafür, um ein Getränk zu bitten. Sie brauchte Flüssigkeit, um ihren Kreislauf zu stabilisieren und um Nieren und Leber zu helfen, das Gift aus ihrem Körper zu transportieren, das er ihr eingeflößt hatte.
So gefesselt war sie keine Gefahr für ihn. Warum sollte er sie erneut betäuben? Und wenn, dann konnte er ihr auch etwas spritzen oder ihr zwangsweise ein Mittel zuführen.
Sie musste es riskieren. Sie brauchte Energie. Sie versuchte, die Beine an den Körper zu ziehen, um sich wie ein Embryo hinzulegen, aber erst jetzt bemerkte sie, dass auch ihre Beine gefesselt waren. Sie hatte mit den Beinen mehr Spielraum als mit den Armen, aber sobald sie sich zu sehr bewegte, schnitt das Seil in ihre Haut.
Nach allem, was sie über solche Täter wusste, würde er versuchen, sie zum Objekt zu
Weitere Kostenlose Bücher