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OstfriesenKiller

OstfriesenKiller

Titel: OstfriesenKiller Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Klaus-Peter Wolf
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war er in seine Joggingschuhe geschlüpft. Er kreuzte die Arme hinter dem Kopf und sah auf seine Schuhe. Er brauchte jetzt das Gefühl, in jeder Sekunde weglaufen zu können.
    Er stellte sich den Radweg am Deich vor, dort, wo er mit seinem Vater so oft gelaufen war. Sie trainierten gern gemeinsam. Seinem Vater Hero liefen die Schweißperlen immer schon übers Gesicht, wenn Eike die Anstrengung noch gar nicht spürte.
    Er mochte dieses verschwitzte Gesicht seines Vaters. Den fiebrigen, kumpelhaften Blick, mit dem er, eigentlich sich selbst anfeuernd, Eike zurief: »Nur nicht schlappmachen, mein Junge! Man braucht im Leben Kondition!«
    Eikes Gesicht war feucht von Tränen. Er hasste es, wenn sich sein Vater und seine Mutter stritten. In der rechten Hand hielt er den Schalter seiner Nachttischlampe und knipste wie mechanisch das Licht immer wieder ein und aus. Hell. Dunkel. Hell. Dunkel. Hell. Dunkel.
    Unten brüllten seine Eltern herum. Bei jedem Stimmwechsel schaltete er um. Wenn er seine Mutter hörte, machte er das Licht aus. Wenn sein Vater einsetzte, schaltete er es an. Manchmal fielen sie sich ins Wort. Dann wechselte das Geschrei so schnell, dass der rasche Wechsel zwischen Hell und Dunkel in seinem Zimmer das Licht vor seinen Augen flackern ließ.
    Er hörte seine Mutter schreien: »Das beleidigt mich! Das verletzt mich! Ich fühl mich wie frisch operiert! Ich will nicht mehr! Hau ab!«
    Auch sein Vater antwortete schon lange nicht mehr in der ruhigen, sachlichen »Wir-können-ja-über-alles-reden«-Stimme. Vielleicht, weil er wusste, dass er Ann Kathrin damit rasend machte, statt sie zu beruhigen. Vielleicht war er auch wirklich aufgeregt. Bei seinem Vater wusste Eike es nie so genau. Er verhielt sich nur selten so, wie er sich wirklich fühlte. Er wollte mit der Art, wie er auf etwas reagierte, etwas erreichen. Er tat etwas so und nicht anders, um den anderen zu etwas zu bringen.
    Seine Mutter nannte das manipulativ. Sein Vater selbst fand es reflektiert, überlegt, pädagogisch wertvoll, erwachsen.
    »Ich muss hier sowieso raus! Ich ersticke hier! Immer musst du an Menschen herumzerren! Nie kannst du jemanden sein lassen, wie er ist! Deine kontrollierende Energie schnürt mir den Hals zu!«, schrie Hero Klaasen, und Eike war sich sicher, dass sein Vater sich dafür hasste, so sehr aus der Haut zu fahren.
    »Was tust du da?«
    »Ich packe. Das siehst du doch!«
    »Da. Nimm das Telefon. Ruf sie an! Ruf sie an! Sag ihr, dass Schluss ist mit ihr. Mach Schluss. In meinem Beisein. Dann sag ich Schwamm drüber. Dann können wir es noch einmal versuchen. Ich bin bereit, dir noch einmal zu verzeihen, wenn …«
    »Ich aber nicht!«, brüllte sein Vater zurück. »Mir stehts bis hier! Bis hier!«
    Die Stimme seiner Mutter überschlug sich: »Der Junge und ich, wir kommen auch ohne dich klar!«
    Bei ihrem Satz hatte Eike das Licht ohnehin ausgeschaltet. Nun ließ er es aus, denn er hörte ihre Schritte auf der Treppe. Sie rannte außer Atem hoch. Eike schob die Füße mit den Joggingschuhen unter die Bettdecke und drehte sich zur Seite.
    Ann Kathrin öffnete die Tür. Ein Lichtkegel fiel aus dem Flur ins Zimmer und auf Eikes Bett. Leise trat sie an sein Bett heran und sah ihn an. Ihr Atem rasselte noch und erinnerte sie daran, dass sie früher einmal geraucht hatte. Vor fünf, sechs Jahren hatte sie aufgehört, doch die Lunge bedankte sich immer noch für die Misshandlungen von damals.
    Sie war froh zu sehen, dass Eike schlief. Er sollte von dem ganzen Ärger so wenig wie möglich mitbekommen. Sie streichelte über seine Haare, ohne sie wirklich zu berühren. Nur ein paar hochstehende, leicht elektrische Haarspitzen kitzelten ihre Handinnenfläche.
    Ann Kathrin war sich nicht sicher, ob Eike sich nur schlafend stellte oder wirklich eingenickt war. »Ich liebe dich, mein Kleiner«, sagte sie leise, bevor sie die Tür wieder hinter sich schloss.
    Ann Kathrin konnte jetzt unmöglich zusammen mit ihrem Mann in einem Zimmer schlafen. Sie bereitete sich ihr Lager im Wohnzimmer auf der breiten Couch. Sie wollte mit dem Gesicht zum Fenster liegen. So konnte sie draußen die Sterne sehen.
    Jetzt war es ruhig im Haus. In ihr stieg ein Schluchzen empor. Es war nicht mehr nötig, dass ihr Mann ihr Vorwürfe machte. Sie tat es jetzt selbst.
    Ich mach alles kaputt, ich blöde Kuh, dachte sie. Wann hab ich mich zum letzten Mal schön für ihn gemacht? Ihn verführt, ihm gezeigt, wie sehr ich ihn liebe? Ich fahr morgens gutgelaunt

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