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OstfriesenKiller

OstfriesenKiller

Titel: OstfriesenKiller Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Klaus-Peter Wolf
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des Schwertes. Das Blut lief durch den Abfluss. Wie leicht es war zu töten. Es machte den Kopf frei, schaffte Klarheit. Es wirkte fast wie Aspirin nach einer Nacht mit zu viel Alkohol und Nikotin.
    Die Waffe für den nächsten Angriff musste sorgfältig ausgewählt werden. Keine Wiederholungen. Jede Attacke sollte anders sein als die anderen.

Freitag, 29.April, 06.20 Uhr
    Ann Kathrin Klaasen brauchte keinen Wecker, denn in hellen Räumen konnte sie nicht schlafen. Sobald genügend Licht durchs offene Fenster ins Wohnzimmer fiel, wurde sie wach. Sie fror. Die Decke war klamm.
    Die Tulpen in ihrem Garten hatten die Köpfe noch geschlossen. Aber das Zwitschern der Vögel kündigte einen sonnigen Tag an.
    Sie hatte einen schlechten Geschmack im Mund und war froh, sich ausgiebig allein im Badezimmer die Zähne putzen zu können. Am liebsten wäre sie jetzt unter die Dusche gegangen, doch vorher wollte sie das Frühstück vorbereiten. Sie wusste nicht genau, warum sie das tat. Vielleicht war es ein Versuch, sich zu versöhnen. Am liebsten hätte sie alles ungeschehen gemacht, das Rad ein paar Jahre zurückgedreht, bis zu der Zeit, als Eike sieben oder acht war und sie sich entschlossen hatten, das Haus im Distelkamp zu kaufen. Als sie Birnbäume und Kirschbäume pflanzten, die ihr nicht mal bis zur Brust gingen und die in den ersten Jahren ein bisschen jämmerlich aussahen in der ostfriesischen Erde.
    Inzwischen tragen die Bäume Früchte, doch etwas in uns ist eingegangen, dachte sie.
    Mit dem Schneebesen verrührte sie Milch und Eier. Schon spuckte die Kaffeemaschine die letzten Tropfen in den Filter und machte dabei ein gurgelndes Geräusch. Alle Welt hatte heute bessere Kaffeemaschinen. Espressomaschinen, die Geräusche machten wie im Restaurant. Selbst in der Dienststelle hatte Weller eine solche Maschine aufgestellt. Sie nahm dreimal mehr Platz weg als die alte, dafür konnte man per Knopfdruck wählen: Milchkaffee, Latte Macchiatto, Espresso. Und ganz normalen Kaffee machte sie auch, wenn auch nicht besonders gut.
    Nein, ihr war diese alte Kaffeemaschine, die einfach nur Wasser heiß machte und in den Filter sprudeln ließ, lieber. Vielleicht, weil die Geräusche sie an zu Hause erinnerten. An das Frühstück bei Mama, mit der selbstgemachten Himbeer- und Sanddornmarmelade … Vielleicht war sie in Bezug auf Kaffee ähnlich konservativ wie ihre Mutter. Sie erinnerte sich noch gut daran, wie lange die sich gegen eine Kaffeemaschine gewehrt hatte. Sie behauptete, frisch aufgebrühter Kaffee, das sprudelnde heiße Wasser direkt aus der Kanne von Hand in den Filter gegossen, schmecke einfach besser. In diesen neuen Maschinen, sagte sie, würde das Wasser gar nicht heiß genug. Außerdem verbrauchten sie zu viel Kaffeepulver.
    Ann Kathrin Klaasen lächelte. Wenn sie an ihre Mutter dachte, erinnerte sie sich immer an kleine Situationen. Wie sie Kaffee kochte. Wie sie das neue Dampfbügeleisen ausprobierte. Wie sie einen Gugelhupf aus dem Herd holte und mit Puderzucker bestreute. Sie erinnerte sich an ihre Mutter als Hausfrau. Natürlich wusste sie, dass sie einen Beruf gehabt hatte. Sie war Grundschullehrerin gewesen. In den ersten Jahren hatte sie sich beurlauben lassen, um sich ganz um ihr Kind kümmern zu können. Etwas, wozu sich Ann Kathrin nie hatte entschließen können. Sie war zu sehr, was sie tat. Und sie fürchtete, wenn sie ihren Beruf aufgab oder einschränkte, ihre Identität zu verlieren.
    Sie überlegte, ob sie einen Tee kochen sollte. Hero würde das als eine Art Friedensangebot sehen. Aber sie entschied sich dagegen. Der Tee war nicht nur ein Friedensangebot. Er lieferte ihm auch eine große Angriffsfläche. Hero war Teespezialist. Er konnte am Geschmack mindestens 30 verschiedene Sorten unterscheiden. Einige unter der Bezeichnung gehandelte Tees akzeptierte er überhaupt nicht als Ostfriesentee. Alles, was irgendwie parfümiert war, mit Vanille, Kokos oder Mango, ließ ihn gleich lauthals über den kulturellen Verfall in Deutschland schimpfen. Wer die Sahne nicht vorsichtig gegen den Uhrzeigersinn in die Tasse tropfen ließ, sondern fettarme pasteurisierte Milch hineingoss und dann umrührte, sank für ihn auf das Niveau eines Barbaren zurück.
    Manchmal hatte sie Tee mit ihm getrunken, um ihm einen Gefallen zu tun. Er nahm mindestens drei Tassen. Das nannte er »Ostfriesenrecht«. Sie hatte diesen Satz so oft gehört, dass sie, wenn er die dritte Tasse eingoss und sie die Kluntjes knacken hörte, ihm

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