OstfriesenKiller
etwas unmöglich aus, fand sie. Ihre Jackentaschen wollte sie sich damit auch nicht ausbeulen. Die Heckler & Koch konnte sie schlecht im Gürtel tragen wie ein Cowboy, und wenn sie die Waffe in der Handtasche bei sich trug, kam sie sich immer merkwürdig verkleidet vor.
Jetzt vermisste sie die P 2000. Die Waffe war eine gute Möglichkeit, gegen die Unsicherheit anzukämpfen, die sie befiel, wenn sie alleine in ihrem Haus saß. Die Holzbalken an den Decken arbeiteten und machten Geräusche. Auch das Dach knarrte manchmal, als ob jemand darauf spazieren gehen würde. Das war schon immer so, doch jetzt begann Ann Kathrin die Geräusche zu interpretieren.
Als Eike klein war, hatte er manchmal nachts davon Angst bekommen und war zu ihr ins Bett gekrochen: »Mami, da ist jemand auf dem Dach.«
Auch als er längst begriffen hatte, dass niemand auf dem Dach war, nutzte er manchmal die Geräusche, um ihre Nähe zu suchen.
Tränen schossen ihr bei dem Gedanken in die Augen. Ihr Kind hatte die mögliche Anwesenheit von Einbrechern vorgeschoben, um sich ihre mütterliche Zuneigung und Nähe zu erschwindeln. Hatte er das nötig?, fragte sie sich. War ich so eine kalte Frau?
Sie stand auf, ging ins Bad und schnitt sich sorgfältig die Fußnägel. Danach feilte sie die scharfen Kanten ab und begann, sich die Nägel zu lackieren.
Sie wusste nicht, warum sie das tat. Sie war wie in Trance dabei. Dies gehörte nicht zu ihren üblichen Handlungen. Sie hatte sich die Fußnägel vor vielen Jahren zum letzten Mal lackiert. Es war aus Jux und Langeweile gewesen, im Urlaub. Sie konnte das Herumliegen und In-der-Sonne-Braten nicht mehr ertragen. Um überhaupt irgendetwas zu tun, hatte sie sich die Fußnägel lackiert.
In der Nacht hatte sie heftigen Sex mit Hero gehabt. Er flüsterte ihr dabei ins Ohr, dass es ihn unheimlich scharfgemacht hätte, ihr beim Lackieren der Fußnägel am Swimming-Pool zuzusehen.
Sie hatte nie wieder Nagellack für ihre Zehennägel benutzt.
Jetzt stellte sie sich vor, wie Susanne Möninghoff im Wohnzimmer im Sessel saß, Wattebäuschchen zwischen den Zehen, und Hero ihr bei der Tätigkeit zusah, die seine sexuelle Phantasie derart beflügelte.
Ich werde hier zu Hause nicht untätig herumsitzen, dachte sie. Ich werde wahnsinnig dabei. Ich muss mein Leben wieder in den Griff kriegen. Ich werde den Fall lösen, ohne Dienstwaffe und offizielle Beurlaubung. Aber nur so kann ich meinen Kollegen beweisen, dass ich wieder ganz die Alte bin. Dann hole ich mir Eike zurück und meinen Mann.
Sie zögerte. Der Plan fühlte sich richtig und gut an. Die Reihenfolge stimmte. Aber wollte sie Hero wirklich zurück? Gab es nicht andere, bessere, attraktivere Männer für sie?
Ihr wurde bewusst, dass sie einen Mann wollte, der sie wollte. Ja, genau das war es. Er sollte sie wirklich von ganzem Herzen wollen. So wie Hero sie damals wollte, im Urlaub, als sie sich die Fußnägel lackiert hatte – oder war es nur aus Langeweile geschehen? Hatte er sich bei den anderen Bikinischönheiten am Pool Appetit geholt und dann mit ihr im Hotelzimmer gegessen, weil es die einfachste Sache der Welt war?
Nichts war mehr klar, nichts mehr selbstverständlich.
Ann Kathrin musste ans Meer. Sie brauchte Klarheit, die Weite, den unverstellten Blick. Sie wollte sich vom Wind durchpusten lassen.
Sie zog sich an, als ob sie zu einer Beerdigung gehen würde.
Obwohl es dem Wind nicht gelang, auch nur eine blaue Lücke in den verhangenen Himmel zu reißen, trat Ann Kathrin mit einer großen dunklen Sonnenbrille auf die Straße.
Von Westen fegten Sturmböen über das flache Land. Es war kein günstiger Tag für die Müllabfuhr. Die Beistellsäcke zu den Mülleimern wehten durch die Siedlung, und dort, wo sie in den Hecken der Vorgärten hängen blieben, rissen sie auf und gaben ihren Inhalt dem Windspiel preis.
Ann Kathrin war für dieses Wetter nicht passend angezogen. Das Kopftuch nutzte wenig, das wallende schwarze Kleid blähte windschwanger auf, die Strumpfhose wärmte ihre Beine nicht wirklich. Sie griff zur Brille, um sich zu vergewissern, dass der Wind sie ihr nicht vom Gesicht wehen würde. Die tiefen schwarzen Ränder unter ihren Augen sollte niemand sehen. Sie wollte aussehen wie eine Frau, die ganz in ihrer Mitte ruhte, sich gesund ernährte, genügend Schlaf bekam und auf sich achtete. Auf keinen Fall durfte sie hektisch wirken, unausgeschlafen oder, schlimmer noch, unbefriedigt.
Vom Dienst beurlaubt. Gerade jetzt … Ann
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