OstfriesenKiller
Seine Frau schämte sich für ihn. Sie liebte ihn, aber wenn er in einer solchen Situation auch einmal den Mund halten könnte, würde sie ihn noch viel mehr lieben.
Die Trainerin flüsterte jetzt in Pias Ohr: »Ich hoffe, das war vorhin nicht wirklich seine Freundin.«
Pia schüttelte heftig den Kopf, dann nickte sie, biss sich auf die Unterlippe und sagte plötzlich mehr zu sich selbst als zur Trainerin: »Ich gehe jedenfalls erst mal zurück zu meinen Eltern. So geht es nicht weiter. So nicht.«
Ann Kathrin Klaasen ließ die Ereignisse der letzten Tage Revue passieren. Sie war so durchgeschüttelt worden wie noch nie in ihrem Leben. Nach ihrer desaströsen Aktion in Leer wusste sie nicht, wie sie den Kollegen wieder unter die Augen treten sollte. Weller würde sie vielleicht weiterhin als Chefin akzeptieren. Aber was war mit den anderen?
Vielleicht würde Ubbo Heide sich für sie einsetzen. Er war für sie ein guter Vorgesetzter. Sie merkte ihm an, dass er im Leben oft auf die Schnauze gefallen war. All die Krisen und Zusammenbrüche hatten aus ihm einen verständnisvollen Menschen gemacht. Darin war er ihrem Vater ähnlich.
Die einen verbittern, wenn sie die Härten des Lebens kennenlernen, die anderen werden weit und gelassen
, hatte ihr Vater kurz vor seinem Tod zu ihr gesagt.
Was würde aus ihr werden? Eine verbitterte, verlassene Frau, einsam, in einem Haus, das für sie alleine viel zu groß war? Würde Ubbo Heide ihr bei einem Dienststellenwechsel helfen? Nicht gerade nach Leer, aber vielleicht nach Hannover oder Celle. Oder war der Polizeidienst für sie als Kripobeamtin endgültig vorbei?
Sie kannte einen ehemaligen Kollegen in Emden. Nachdem er vom Dienst suspendiert worden war, hatte er sich als Privatdetektiv selbständig gemacht. Inzwischen bildete er sogar junge Detektive aus. Sie hatte ihn im Zug getroffen, und er erzählte ihr in seiner großspurigen Art, dass er unheimlich dankbar dafür sei, dass er gefeuert worden war. Von alleine hätte er nie gekündigt, und jetzt verdiene er immerhin in der Woche mehr als damals im ganzen Monat. Möglicherweise könnte sie ihn um einen Job bitten …
Der Gedanke würgte sie. Überhaupt standen unangenehme Sachen an. Die Scheidung. Was würde aus dem Haus werden? Sie mussten es vermutlich verkaufen und sich dann das Geld teilen. Wenn sie jetzt arbeitslos wurde, musste Hero dann für sie Unterhalt zahlen? Sie wusste genau, dass er sein Einkommen dem Finanzamt gegenüber anders darstellte, als es in Wirklichkeit war. Viele seiner Klienten legten keinen Wert auf Quittungen und wollten auch nicht, dass die Krankenkasse für ihre Behandlung bezahlte. Sie wollten nicht in irgendwelchen Akten als Menschen mit psychischen Problemen auftauchen. Sie zahlten gerne selbst und in bar. Nicht mal die Hälfte davon gab Hero beim Finanzamt an. Trotzdem blieb am Ende des Monats nichts übrig.
Musste sie jetzt Unterhalt für ihren Sohn bezahlen, weil er nicht bei ihr, sondern bei seinem Vater lebte?
Sie stand im Badezimmer und sah sich im Spiegel an. Sie kam sich dick und unansehnlich vor. Sie wusste, dass das nicht stimmte. Und trotzdem war da eine Stimme in ihr, die viel stärker war als der Verstand. Die Stimme sagte ihr, dass sie fett sei und unsportlich. Begann ihr Busen nicht bereits zu erschlaffen? Jetzt, da sie sich im Spiegel betrachtete, fand sie kaum etwas Liebenswertes oder Schönes an sich. War es da ein Wunder, dass Hero sie verlassen hatte? Und in Leer hatte sie sich endgültig zur Idiotin gemacht.
Sie musste hier weg. Raus aus Norden, raus aus Ostfriesland, irgendwohin, wo sie niemand kannte. Vielleicht gab es einen Neuanfang.
Nein, sie hatte nicht vor, einen anderen Mann kennenzulernen. Auf gar keinen Fall würde sie sich mit Weller verabreden. War das überhaupt ernst gemeint? Glaubte er, sie sei jetzt eine leichte Beute? War Weller der Typ, der versuchte, frisch verlassene Frauen mit ein bisschen Süßholzraspeln flachzulegen? Liefen vielleicht unter Kollegen bereits Wetten, wer sie als Erster haben würde?
Es kam ihr vor, als seien ihr in den letzten paar Tagen die Augen über die Männer geöffnet worden. Sie musste erst 37 werden und Sylvia Kleine begegnen, um zu erahnen, was wirklich in Männerseelen abging.
Sie schüttelte sich. Nein, so wollte sie nicht leben. Nein, so sollte es nicht sein.
Du hast jetzt Urlaub, dachte sie. Warum fährst du nicht einfach weg? Last Minute. Wahrscheinlich kannst du schon morgen früh von Bremen aus
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