Ostfriesenmoor: Der siebte Fall für Ann Kathrin Klaasen (German Edition)
so, dass Weller, der sich immer noch bemühte, woandershin zu gucken, es mitbekam. Er versuchte, sich ganz auf Ann Kathrin zu konzentrieren, was ihr als Frau gefiel, denn sie spürte, dass ihr Mann nicht so leicht zu haben war. Als Kommissarin ärgerte es sie, denn er hatte gefälligst die Verdächtige einzuschätzen, und dazu musste er auch die kleinste Geste von ihr registrieren und in das Gesamtbild einordnen.
Ann Kathrin musste sich selbst eingestehen, dass Weller es ihr gar nicht recht machen konnte, völlig egal, was er tat. Entweder als seine Freundin oder als seine Chefin fand sie es falsch. Er tat ihr ein bisschen leid.
Frau Dr. Hildegard sprach in seiner Richtung: »Als Sie mich mit Ihrem Kollegen Rupert in der Pathologie besucht haben, kamen Sie mir sehr intelligent vor, Herr Weller. Sie haben die richtigen Fragen gestellt, hatten eine klare Strategie und haben sich nicht durch den zweifellos schönen Anblick unserer Putzfrau ablenken lassen, ganz im Gegensatz zu Ihrem Kollegen.«
Sie kratzte sich nun noch etwas höher am Oberschenkel, aber das sah nur Ann Kathrin. Weller konzentrierte sich jetzt auf die Fachliteratur und zog ein chirurgisches Fachbuch aus dem Regal. Er schaffte es, anders als Ann Kathrin, nicht, auf dem Sofa sitzen zu bleiben.
»Ich kann schon verstehen, dass Ihr Kollege so auf Frauke Mannigs abfährt. Sie hätte auch wirklich einen guten Partner verdient. Sie ist ein ganz trauriger Fall. Wir haben gemeinsam studiert.«
»Eine Putzfrau hat Medizin studiert?«, hakte Ann Kathrin nach.
»Ja, aber sie hat es nicht zu Ende gebracht. Nach dem Physiologiepraktikum hat sie abgebrochen. Wir haben noch an richtigen Tierversuchen gelernt. Heute lehnen das ja viele ab. Aber klassische Froschversuche oder die Arbeit an narkotisierten Kaninchen gehörten bei uns noch dazu.«
»Gibt es denn sinnvolle Lernziele, die man nur durch Tierversuche vermitteln kann?«, fragte Ann Kathrin.
»Na, heutzutage gibt es auch zahlreiche Alternativmethoden. Allerdings vertrete ich noch die alte Praxis. Die Studenten müssen lernen, ihren Ekel zu überwinden und mit lebender Materie umzugehen. Ärztliches Handeln kostet eben auch oftmals Überwindung.«
»Und die hat Ihre Kollegin nicht länger aufgebracht?«, fragte Weller vom Buchregal aus und klappte einen dicken Schinken zu. Er wusste, dass die Affären von Rupert Ann Kathrin überhaupt nicht gefielen, vor allen Dingen nicht, wenn sie etwas mit ihrem Dienst zu tun hatten. Nun, eine Putzfrau in der Pathologie war ja noch keine Zeugin, aber Weller spürte, dass Ann Kathrin innerlich schon wieder bebte. Jetzt sammelte sie kein Material mehr für den Fall hier, sondern eher für ein Disziplinarverfahren gegen Rupert.
»Und Rupert hat jetzt etwas mit ihr laufen?«
Ann Kathrins Frage ging mehr in Richtung Weller, doch Frau Dr. Hildegard beantwortete sie: »Nun, sie sind beide erwachsene Menschen. Gönnen wir ihnen ein bisschen Spaß. Frauke ist mit dreizehn Jahren schon schwanger geworden und hat keine einfache Zeit hinter sich. Das Kind starb bei der Geburt. Ich glaube, es waren sogar Zwillinge. Sie selber ist wohl jahrelang mit dem Trauma herumgelaufen. Sie glaubt nicht wirklich an die Totgeburt, sondern, dass die Frühchen nach der Geburt zur Adoption freigegeben wurden. Ich vermute, das hat sie sich so zurechtgelegt, um mit dem Schmerz fertigwerden zu können. Wer erträgt schon mit dreizehn den Tod seiner Kinder …«
Ann Kathrin lehnte sich zurück, und ihr Verdacht, vor der Mörderin zu sitzen, wuchs.
Sie ist äußerst raffiniert, dachte Ann Kathrin. Sie versucht uns gerade eine neue Verdächtige unterzuschieben. Die Putzfrau aus der Pathologie. Na klar. Das wäre ja auch zu schön. Das Einzige, was an deiner Geschichte stimmt, Frau Doktor, ist garantiert, dass sie etwas mit Rupert laufen hat. Der fängt mit jeder was an, die ihn ranlässt.
»Sie meinen also«, fragte Ann Kathrin, »die Gute könnte ebenso mit einem Seziermesser umgehen wie Sie?«
Frau Dr. Hildegard nickte. »Sie war sehr gut. Offen gestanden, erinnere ich mich daran, wie sie mir half, einen präparierten Frosch mit Nadeln zu fixieren. Aber als Chirurgin könnte sie nicht arbeiten. Sie hat eine dunkle und eine helle Seite. Es wechselt sehr schnell. Manchmal ist sie ein fröhliches, aufgeschlossenes Wesen.«
Clever, dachte Ann Kathrin, sehr clever von dir. Und du hast uns auch brav alle Räume gezeigt. Nur eben nicht den Keller. Für wie blöd hältst du uns eigentlich?
Ann
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