Ostfriesenmoor: Der siebte Fall für Ann Kathrin Klaasen (German Edition)
die bereits gepulten, die Schalen auf einer weißen Plastiktüte.
Während des Gesprächs half Dietmar Albers weiterhin Krabben aus dem Mantel. Er stellte sich dabei sehr geschickt an, wie jemand, der diese Arbeit seit vielen Jahren gewohnt ist. Es machte ihm offensichtlich Spaß. Jede dritte Krabbe aß er. Dann warf er wieder zwei in die Schüssel, um die nächste zu verspeisen.
»Was führt Sie zu mir, Herr Kommissar? Habe ich wieder irgendeinen Blödsinn gemacht?«
»Machen Sie öfter Blödsinn?«, fragte Weller und zog sich einen Stuhl heran, obwohl ihm keiner angeboten worden war.
Albers lächelte verschmitzt. »Ach kommen Sie. Sie wissen doch Bescheid. Ich hatte so um die Jahrtausendwende herum ein Tief. Meine Frau hat mich verlassen, beruflich sind mir ein paar Schnitzer passiert …«
Er hielt beide Hände nebeneinander über den Krabbenhaufen. Sie zitterten leicht, aber bisher war Weller das nicht aufgefallen.
»So«, sagte Albers, »kann man nicht operieren. Und unter dem Einfluss von Beruhigungsmitteln sollte man es auch nicht tun …«
Weller holte seine Fotos heraus und legte sie vor Albers auf den Tisch. Eine Krabbe kullerte von dem großen Stapel herunter und fiel ins Uplengener Moor.
»Haben Sie das Kind dort gefunden?«
Weller nickte. Geduldig sah Albers sich das Bild von dem abgerissenen Arm an.
»Da stopft jemand Kinderleichen aus?«
»Ja«, sagte Weller, »und ich möchte von Ihnen wissen, ob Ihnen an diesen Bildern etwas auffällt.«
Albers knackte genüsslich eine Krabbe. »Was soll mir daran auffallen? Ich war es nicht, wenn Sie das meinen. Ich habe in meinem Leben so viele Leute aufgeschnitten und wieder zusammengeflickt, glauben Sie mir, mein Hobby ist das nicht. – Wenn Sie schon mal da sind, können Sie mir eigentlich auch beim Krabbenpulen helfen.«
Weller machte keine Anstalten, dieser Aufforderung nachzukommen.
Albers erklärte ihm: »Wissen Sie, den Mist, den Sie auf Ihrem Krabbenbrötchen essen, den krieg ich einfach nicht runter. Die Krabben werden erst nach Marokko geschippert und dort gepult.« Er tippte sich gegen die Stirn. »Die werden bei uns gefangen, und dann sind sie ein paar Wochen unterwegs, bis sie wieder zu uns zurückkommen. Ich esse sie lieber frisch. Das ist etwas völlig anderes. Hat mit dem Geschmack, den Sie kennen, überhaupt nichts zu tun …«
»Ich weiß«, sagte Weller. »Ich lebe schon länger hier.«
Dann schob er das Foto noch näher zu Albers. »Sagt Ihnen die Technik etwas, mit der die Haut hier zusammengeflickt wurde? Laut Laborbericht hat er einen 3 – 0 Ethilon von der Firma Ethicon benutzt.«
»Ja, das ist gute chirurgische Arbeit. Ethicon ist der Marktführer. Ich hätte an seiner Stelle allerdings einen Faden der Stärke 4 – 0 oder sogar 5 – 0 benutzt.«
»Einen dickeren?«
»Nein. Je höher die Zahl, umso feiner der Faden. Hier wurde ja kein Muskelfleisch zusammengenäht, sondern nur Haut. Das hätte man dezenter hinkriegen können.«
»Kann das einer Ihrer Schüler gewesen sein?«
Fast amüsiert lächelte Dr. Albers Weller an. »Schüler? Was meinen Sie mit Schülern? Ich bin doch kein Lehrer gewesen.«
»Naja, aber Sie haben doch Assistenzärzte gehabt oder …«
»Klar. Jede Menge. Aber keine Schüler. Wie kommen Sie darauf, dass es einer von denen gewesen sein könnte?«
»Diese Art der Stiche, ist das nicht typisch für Sie und Ihre Arbeit?«
»Wer hat Ihnen denn den Blödsinn erzählt?«
»Könnten Sie, wenn Sie sich das genauer anschauen, erkennen, wer das gemacht hat?«
»Nein, kann ich nicht. Aber ich sehe, dass Sie keine Krabben pulen und mir meine Zeit rauben.«
Er nahm die Schüssel und hielt sie Weller hin. »Probieren Sie wenigstens mal, junger Freund. Da tut sich Ihnen eine ganz neue Welt auf.«
»Ich sagte, ich bin von der Küste.«
Fast ein bisschen beleidigt stellte Albers die Schüssel wieder zurück und zog sie jetzt näher zu sich selbst heran.
»Stehen Sie noch unter Betreuung?«, fragte Weller.
Albers’ Blick wurde feindselig. »Nein, den Typen habe ich abgeschossen.«
»Ich weiß«, sagte Weller. »Er hat Sie betrogen.«
Albers nickte.
»Damals, mit dem Euro, nicht wahr?«
»Nein«, sagte Albers. »Mit meiner Frau.«
Sie konnte an gar nichts anderes mehr denken als an diese Zwillinge. Sie wollte beide, aber es war schwer, zwei Kinder gleichzeitig zu entführen. Sie folgte ihnen jetzt schon seit einiger Zeit.
Die Mutter und ihre große Tochter passten auf wie Wachhunde.
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