Ostfriesensünde
die Steine hierhergekarrt und sie eingefangen, um sie endlich von jeder Ablenkung fernzuhalten und zu sich selbst zu bringen. Und nun gab die einfach so auf …
Er schleuderte die Kelle gegen die Wand und hätte am liebsten die Mauer aufgebrochen, um sie zu rütteln und zu schütteln. Aber stattdessen brüllte er jetzt nur die Steine an: »Was ist mit dir, Judith? Weißt du, warum du dadrin bist, oder ist es dir egal? Hast du dich schon aufgegeben oder willst du kämpfen? Wenn du mir sagst, warum du dadrin bist, lasse ich dich vielleicht raus! Vielleicht. Gib mir einen Grund. Überrasch mich.«
Da hörte er tatsächlich ihre Stimme.
»Bist du Pikko? Oder bist du Sven?«
Jetzt kannte sein Zorn keine Grenzen mehr. Dieses verfluchte
Luder hatte ihn dazu gebracht, von seinen Prinzipien abzuweichen. Er hatte mit ihr geredet! Sie sollte doch in der Stille sein, ohne jede Zuwendung von außen. Einsam.
Er wollte sie bestrafen, aber er wusste nicht, wie. Was sollte er ihr noch nehmen? Sie besaß ja nichts mehr. Außer … Natürlich! Die Luft zum Atmen. Das kleine Rohr mit 1 , 5 Zentimeter Durchmesser versorgte sie mit Sauerstoff.
Er zog ein Papiertaschentuch heraus, schnäuzte hinein und verstop fte dann damit die Öffnung.
Ann Kathrin humpelte über die Sandbank weiter. Sie versuchte, den Schmerz zu ignorieren.
Jetzt rief Weller wieder an. Er hatte den Streit zwischen Ann Kathrin und Ubbo Heide mit angehört und machte sich Sorgen um seine Lebenspartnerin.
Ubbo Heide hatte Weller gebeten: »Pfeif sie zurück, wenn du noch Einfluss auf sie hast, bevor unsere Einheit hier in Schutt und Asche liegt.«
Diesmal nahm Ann Kathrin Wellers Anruf an.
Er hörte an ihrem Atem, dass sie in großer Aufregung war und sehr traurig.
»Was ist los mit dir, Ann? Was stimmt nicht?«
»Frank, warum bist du jetzt nicht bei mir? Ich brauche dich hier. Ich brauche Unterstützung. Ich will in den Arm genommen werden. Meinst du, ich muss nicht mal meinen Kopf an eine starke Schulter lehnen?«
So einen Satz hätte er nie von ihr erwartet. Aber er bekam gleich ein schlechtes Gewissen ihr gegenüber. Er verteidigte sich: »Ich hab dich doch nicht alleine gelassen, Ann. Du bist einfach abgehauen, nach Spiekeroog, und … «
»Frank, Isolde Klocke ist angeblich einen Tag nachdem mein Vater erschossen wurde vor Spiekeroog ertrunken. Ihre Leiche wurde nie gefunden und ich … «
»Ann, komm einfach zurück, und wir besprechen es dann.«
»Ich kann jetzt nicht zurück. Ich muss hierbleiben. Ich … «
»Du musst gar nichts. Du gehörst nach Norden, in den Distelkamp, und nach Aurich in unsere Polizeiinspektion. Wir brauchen dich … «, er schluckte, »ich brauch dich hier, Ann.«
Sie schrie es heraus: »Ich weiß jetzt, mit wem mein Vater zusammengearbeitet hat! Er heißt Beukelzoon. Wilhelm Beukelzoon. Sie haben gemeinsam als Zielfahnder gearbeitet. Die Akten sind verschwunden. Vielleicht war mein Vater an diesen Typen nah dran. Er wusste, dass sie den Überfall planten, konnte ihn aber nicht verhindern, und dann … «
»Ann, das ist doch alles nur Spekulation.«
Weller hatte das Gefühl, im Gespräch keinen festen Boden unter den Füßen zu haben. Er schwamm völlig. Er brauchte eine Leuchtboje, einen Anpack. Irgendetwas, das sie aus ihren Gedankenketten herausriss. Er kam sich ein bisschen blöd dabei vor, aber er versuchte es. »Wie hieß der? Wilhelm Beukelzoon?«
»Ja. Kennst du ihn?«
»Na ja, das ist ein recht berühmter Name.«
Er hatte sofort ihre Aufmerksamkeit.
»Wie – berühmt? Wie meinst du das?«
»Vor ein paar hundert Jahren hat ein Mann namens Beukelzoon den Matjeshering erfunden. Ja, wir verdanken diesem Mann eine Menge. Man sollte ihm ein Denkmal setzen. Er kam auf die Idee, nur Heringe zu verwenden, die Ende Mai oder Anfang Juni gefangen werden, also vor der Fortpflanzungszeit, denn dann haben sie einen hohen Fettgehalt, weil Rogen und Milch noch nicht ausgebildet sind.«
Weller wusste nicht, ob er sich restlos lächerlich machte oder endlich einen Zugang zu Ann Kathrin gefunden hatte. Sie kannte seine Leidenschaft für Heringe aller Art. Das war auch alles ein Stückchen von ihm. Wenn sie ihn liebte, dann …
»Beukelzoon hat die Heringe gekehlt, also ihnen die Kiemen rausgenommen, aber die Bauchspeicheldrüse im Fisch gelassen. Mit einem Enzym, das da entsteht, und mit ein wenig Salz reifen die Fische innerhalb von ein paar Tagen zum Matjes. Die ganz frischen erkennst du an der leicht rosa gefärbten
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