Ostseeblut - Almstädt, E: Ostseeblut
uralten Verhaltensmuster folgte, sondern sie eilte, ohne darüber nachzudenken, nach links, wo sie sich zwischen den Regalen der »Belletristik« verbergen konnte. Es war ein ihr vertrauter Zufluchtsort, meistens ein mentaler, heute jedoch ein physischer. Solveigh sah hastig über ihre Schulter und nahm einen Schatten an der Wand neben den Fahrstühlen wahr. Schnell duckte sie sich und drückte sich hinter einen Sessel, der nahe an der Außenwand stand. Hier war es eng und dunkel. Vertraut und bedrohlich zugleich. Solveigh zwang sich, ruhig zu atmen, merkte dabei, wie sich ihre Blase dringlich meldete und ihr Herz Trommelwirbel klopfte.
Was dann passierte, war … nichts. Da kein Verfolger zu sehen oder zu hören war, wurde ihr Herzschlag etwas ruhiger. Vielleicht war der Schatten nur das Scheinwerferlicht eines Autos gewesen, das durch die Hundestraße gefahren war und dessen Licht in die Fenster geleuchtet hatte und irgendwo reflektiert worden war. Sie war fast schon der Ansicht, sich alles nur eingebildet zu haben, da hörte sie gedämpfte Schritte auf dem mit Nadelfilz belegten Boden. Sie drückte sich tiefer in ihr Versteck, ihren Oberkörper hatte sie fest mit den Armen umschlossen, und sie kniff nun die Augen zu wie ein kleines Kind. Wie war sie nur in diese aberwitzige Situation gekommen?
14. Kapitel
N och ein Franzbrötchen?«, fragte Broders amüsiert. »Ist das dein zweites oder drittes heute Abend, Pia?«
»Das ist mein ›Das geht dich gar nichts an‹-zweites!« Sie fuhr sich mit der Zunge über die Schneidezähne, um den Zuckerguss vom Zahnschmelz zu lösen, und trank, als ihr das nicht gleich vollständig gelang, einen großen Schluck Mineralwasser hinterher. Dann klopfte sie mit dem Stift auf den vor ihnen liegenden Aktenordner.
»Wie war das mit der einen Arzthelferin aus der Hautarztpraxis, die Sie gestern erst erreicht haben? Ist bei dem Gespräch noch etwas Neues herausgekommen?«, fragte sie Olaf Maiwald, unter anderem, um vom Thema ihrer überhöhten Kalorienzufuhr abzulenken.
Er räusperte sich und zog seine Notizen hervor. »Ja. War aufschlussreich. Moment, hier hab ich es: Ihr Name ist Hilke Reimers. Sie arbeitet seit drei Jahren in der Praxis von Timo Feldheim und Katja Simon. Sie war ziemlich schockiert über das, was ihrem Chef passiert ist. Es dauerte seine Zeit, bis ich sie zielführend befragen konnte.«
»Und was kam dabei heraus – nach dem obligatorischen Tränchentrocknen und Händchenhalten?«, fragte Broders.
Maiwald sah ihn irritiert an. Ganz offensichtlich hatte er nicht so schnell die Erwiderung parat, die den Kollegen locker-flockig in seine Schranken weisen und ihn selbst als schlagfertig und amüsant dastehen lassen würde. Pia konnte das gut nachvollziehen und fühlte zum ersten Mal so etwas wie Sympathie für den Kollegen in sich aufsteigen, der sich von heute auf morgen in das ihm fremde Team integrieren musste. Einfach hatte er es hier gewiss nicht. Aber musste er unbedingt einen auf oberlässig machen?
»Hilke Reimers hat ausgesagt, dass sie mit Herrn Feldheim wesentlich besser zurechtgekommen ist als mit Katja Simon. Der Doktor, sie nannte ihn tatsächlich ›den Doktor‹, war ihrer Meinung nach geduldig und gerecht, sowohl seinen Angestellten als auch den Patienten gegenüber. Ihr, Katja Simon oder der Chefin, konnte es laut Hilke Reimers niemand recht machen. Nicht einmal ihr Mann. Die beiden haben sich manchmal sogar in der Praxis gestritten, behauptet die Reimers, zumindest wenn sie der Meinung waren, es würde niemand hören.«
»Bei der letzten Besprechung war noch nichts über Differenzen zwischen Feldheim und Simon in der Praxis bekannt ge-wesen?«
»Nein. Die anderen beiden Arzthelferinnen waren diskreter. Ich hatte bei denen schon das Gefühl, dass sie mir nicht alles sagen, aber es hatte sich kein konkreter Anhaltspunkt gezeigt, an dem ich hätte nachhaken können.«
»Hat Frau Reimers gehört, worüber sich Simon und Feldheim gestritten haben?«, fragte Gerlach von seinem Platz auf der Fensterbank her. Außer ihnen waren auch Conrad Wohlert und Wilfried Kürschner anwesend. Die anderen waren noch unterwegs, Gablers Aufträge abzuarbeiten. Pia mochte die Arbeit in einer Gruppe dieser Größenordnung. Man unterstützte sich gegenseitig, ohne auf zu viele unterschiedliche Wortmeldungen eingehen zu müssen – ihrer Meinung nach die effektivste Form der Teamarbeit.
»Sie sagte, durch die schallgedämmte Tür zum Sprechzimmer könne man nichts
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