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Ostseeblut - Almstädt, E: Ostseeblut

Ostseeblut - Almstädt, E: Ostseeblut

Titel: Ostseeblut - Almstädt, E: Ostseeblut Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Eva Almstädt
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Feierabend war, es sei denn, er war über einem Buch eingeschlafen. Zum Glück war sie noch hier! Wenn erst jemand einen Alarm auslöste, beispielsweise weil er die falsche Innentür öffnete, war im Nu die Wach- und Schließgesellschaft hier, und es gab Ärger.
    Solveigh schluckte das Bonbon herunter und überlegte, ob sie noch mal das gesamte Licht anmachen sollte. Man konnte das Licht aber auch Raum für Raum einzeln schalten, und für den Fall der Fälle, einen Stromausfall zum Beispiel, oder zum Suchen von Büchern in schlecht ausgeleuchteten Regalen, lag ein großer Handscheinwerfer unter dem Tresen bereit, den sich Solveigh jetzt griff. Es hatte sich so angehört, als liefe der verspätete Kunde im Altbau herum, wahrscheinlich in der Abteilung »Belletristik – Sonderausgaben« oder den »Literaturwissenschaften«, und das war im AE, quasi direkt neben der Ausleihe.
    »Hallo!«, rief sie am Durchgang zum Altbau. »Hören Sie mich? Die Stadtbibliothek ist jetzt geschlossen. Ich kann Sie hinausbegleiten.«
    Keine Antwort. Oder hatte sie sich getäuscht? Sie musste wohl oder übel nachsehen, dachte sie sich. Nicht dass ausgerechnet heute, wo der Hausmeister ausfiel, ein unnötiger Alarm ausgelöst wurde! Sie würde einmal durch Altbau und Neubau gehen, in jedem Stockwerk nachsehen und rufen. Wenn sich dann niemand meldete, konnte sie sich immer noch überlegen, wie sie weiter verfahren sollte. Es war jetzt zwanzig nach sieben. Was für ein blöder Mist!
    »Hallo?« Solveigh ging durch das Erdgeschoss des Altbaus, rief ab und zu und leuchtete in jeden schmalen Gang. Dabei lauschte sie aufmerksam auf mögliche Geräusche.
    Die Gummisohlen ihrer bequemen Halbschuhe verursachten schmatzende Geräusche auf dem Linoleumfußboden, und der Lichtkegel des Scheinwerfers tanzte über die Buchrücken und warf durch die Eisensprossen der Treppen bizarre Schatten auf Fußboden und Wände. Da war es wieder, das dumpfe Dröhnen, als benutzte jemand weit über ihr, auf einer der vier Ebenen, die in den Altbau integriert waren, eine Treppe. Die sonst so vertraute Bibliothek war ihr auf einmal fremd. Lange würde sie nicht mehr nach diesem Idioten suchen.
    »Hallo?« Ihre Stimme hörte sich dünn und verängstigt an. Was war, wenn der verspätete Kunde schwerhörig oder gar gehörlos war? Sie stieg die Holzstufen zu den Bereichen »Volkskunde« und »Psychologie« hinauf und ging betont festen Schrittes den Gang entlang, der in Richtung Neubau führte. Die Metallkonstruktion der eingezogenen Ebenen vibrierte unter ihren Füßen und erzeugte dieses dröhnende Geräusch, das sie vorhin in der Ausleihe zu hören geglaubt hatte.
    Wenn noch jemand hier im Altbau war, hätte er sich längst zu erkennen gegeben, dachte sie. Sie hatte jetzt den Durchgang zum Neubau erreicht, die Stelle, an der sich das Haupttreppenhaus und die Fahrstühle befanden. Die geringe Deckenhöhe der Ebenen im Altbau waren ihr im Dunkeln bedrückend erschienen, und sie atmete auf, als sie den Übergang zum Neubau betrat. Sollte sie jetzt wirklich noch den gesamten Neubau absuchen, der noch viel mehr Versteckmöglichkeiten bot? Hier hörte man auf dem Teppichboden auf Beton keine Schrittgeräusche. Und was war, wenn derjenige, den sie gehört hatte, gar nicht gefunden werden wollte, sondern sein Plan es vorsah, sich in der Bibliothek einschließen zu lassen? Um was zu tun? Etwas zu stehlen? Oder, schlimmer noch, um die Bibliothek zu zerstören? Vielleicht wusste er nicht um die Alarmanlage im Gebäude selbst? Das Unbehagen, das sie verspürte, steigerte sich langsam zu einer handfesten Beklemmung. Solveigh schwitzte und zitterte zugleich. Der Gedanke daran, dass jemand all diese Bücher, die mühsam zusammengetragenen Schätze aus Jahrhunderten, zerstören wollte, war schlimmer als alles andere. Säure-Attentate, blinde Zerstörungswut und Feuer kamen ihr in den Sinn.
    Zum Glück wurden die wertvolleren Werke im Mantelsaal, im Scharbausaal und in weiteren, dem Publikum nicht zugänglichen Räumen aufbewahrt. Dort kam kein Unbefugter so ohne Weiteres hin. Der Gedanke an die stillen Säle unter dem Kreuzrippengewölbe und den strengen Augen der Honoratioren der Stadt Lübeck auf den Gemälden ließ Solveigh schaudern. Dort ging sie nach Anbruch der Dunkelheit bestimmt nicht allein hin! Sie würde jetzt zur Ausleihe zurückkehren und die Alarmanlage scharf stellen. Wenn dann jemand im Inneren Alarm auslöste, wenn sie das Gebäude verlassen hatte, dauerte es zwar

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