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Ostseeblut - Almstädt, E: Ostseeblut

Ostseeblut - Almstädt, E: Ostseeblut

Titel: Ostseeblut - Almstädt, E: Ostseeblut Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Eva Almstädt
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schien.
    »Ja?«
    »Vorhin war ein Mann hier, der nach Ihnen gefragt hat.«
    »Wer war das denn?«
    »Er hat seinen Namen nicht genannt. Ein älterer Herr. Und er hat nach Frau Pahl gefragt, Solveigh Pahl. Frau Freitag hat mir dann erklärt, dass Pahl Ihr Mädchenname ist, sonst hätte ich ihm glatt gesagt, dass hier niemand namens Pahl arbeitet.« Sie kicherte unangemessen.
    Ein älterer Herr? Sie kannte keine »älteren Herren«. Dann wurde Solveigh sich darüber bewusst, dass für eine Frau wie die Praktikantin, gerade mal neunzehn Jahre alt, alle Menschen über dreißig, ach was, über fünfundzwanzig, steinalt aussahen. Sie selbst mit ihren achtunddreißig war in den Augen der Jüngeren wahrscheinlich eine Greisin. Sie seufzte. »Du hättest ihn nach seinem Namen fragen sollen. So kann ich nichts damit anfangen. Was wollte er überhaupt von mir?«, fragte sie streng. Wenn sie schon die Alte vom Dienst war, konnte sie auch ein bisschen Autorität verbreiten.
    »Keine Ahnung! Ich hatte gerade eine Riesenschlange vor mir an der Buchausgabe stehen, und er hat sich einfach vorgedrängt. Was sollte ich denn da machen?«
    »Schon gut. Er wird sich wieder melden, wenn es wichtig war.«
    »War bestimmt nicht wichtig«, versicherte die Praktikantin rasch und schlüpfte in ihre Jacke. »Ich kann doch jetzt auch abhauen, oder? Die anderen sind schon alle weg. Einen schönen Feierabend!«
    Solveigh, die ihre Arbeit noch beenden wollte, bevor sie nach Hause ging, begleitete die Praktikantin zur Tür und schloss hinter ihr wieder ab, ließ den Schlüssel aber schon mal stecken. Es fehlte ihr noch, dass ein verspäteter Kunde hereinschneite und sie unnötig aufhielt. Obwohl … besonders eilig hatte sie es heute nicht, nach Hause zu kommen.
    Sie widmete sich wieder den Mahnungen und merkte, dass sie die Ruhe genoss, die sich nun in den Räumen der Stadtbibliothek ausbreitete. Sie und vierhunderttausend Bücher – es würde die angenehmste halbe Stunde werden, die ihr heute vergönnt war. Solveigh zog ihre geräumige Handtasche hervor und holte eine angebrochene Tüte Karamellbonbons heraus. Sie schob sich eins in den Mund und arbeitete weiter.
    In den Heizkörpern tickerte und knackte es leise, weil die Heizung jetzt auf Nachtbetrieb umgeschaltet hatte und sich das Metall abkühlte, was zu thermischen Spannungen führte. In einer Stunde würde es schon ziemlich kalt hier drinnen sein. Also schneller arbeiten. Es war wichtig, dass sie vor Rainer zu Hause eintraf, damit sie das Abendbrot noch vorbereiten konnte, bevor er kam.
    In seinem Job hatte er erst um zwanzig Uhr Feierabend, und oft kam er noch später, weil irgendwelche Kunden ihn aufhielten. Viele Kunden, die einen Neuwagen kaufen wollten, fühlten sich in den heutigen, wirtschaftlich schwachen Zeiten wie Könige und meinten, die Bedingungen diktieren und dem Verkaufspersonal ihren Willen aufzwingen zu können. Man darf unter keinen Umständen die Führung im Verkaufsgespräch verlieren, hatte Rainer ihr erklärt. Trotzdem, hatte ein Kunde erst nach acht Uhr Zeit, sein Auto zu kaufen, wäre Rainer der Letzte, der pünktlich Feierabend machte. Und nach einem erfolgreichen Abschluss musste der Erfolg dann noch begossen werden … Das eine oder andere Mal hatte Solveigh ihn in der Firma abholen müssen, weil die Kollegen ihn nicht mehr Auto fahren lassen wollten.
    Mist, was war denn das? Drüben, im Altbau, hörte sie ein dumpfes Dröhnen, als ginge jemand schweren Schrittes einen der Gänge entlang. Es hatte zwei Lautsprecher-Durchsagen gegeben, eine um achtzehn Uhr fünfundvierzig, die die Kunden informiert hatte, dass die Stadtbibliothek gleich geschlossen wurde und jetzt die letzte Gelegenheit war, Bücher zu entleihen. Dann, um kurz vor neunzehn Uhr, hatte es eine zweite, endgültige Durchsage gegeben. Man konnte in dem zum Teil sehr alten und verwinkelten Gebäude nicht jede Ecke kontrollieren, und es war auch schon vorgekommen, dass ein Kunde in einer uneinsehbaren Nische so sehr in ein Buch vertieft gewesen war, dass er nichts vom Schließen der Bibliothek mitbekommen hatte. Gewöhnlich fand der Hausmeister ihn dann bei seinem letzten abendlichen Rundgang, bevor er die Alarmanlage scharf stellte. Doch heute war der Hausmeister krank, und Solveigh hatte sich bereit erklärt abzuschließen, während eine andere Kollegin noch eine Runde durch das Haus gedreht hatte. Danach hatten sie das Licht ausgeschaltet. Inzwischen hätte es also jeder mitbekommen sollen, dass hier

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