Ostseeblut - Almstädt, E: Ostseeblut
mittelgroß, mit einer noch erkennbar sportlichen Figur, doch jetzt, da er schätzungsweise Ende dreißig war, schien er Gewichtsprobleme zu bekommen. Noch war er nicht dick, aber in ein paar Jahren würde er sich über ein Doppelkinn und Rettungsringe in der Taille ärgern. Sein dichtes rotblondes Haar war sorgfältig zurückgekämmt, er war glatt rasiert und trug eine Brille mit dünnem goldenem Rand. Vielleicht hatte er das Gestell ausgewählt, weil es ihn reifer und erfahrener aussehen ließ.
Pia stellte sich vor und erklärte, dass sie im Mordfall Timo Feldheim ermittele und ein paar Fragen an ihn habe.
»Aha.« Er schien nicht sehr verwundert zu sein. »Kommen Sie rein. Ich habe allerdings Besuch. Wir trinken gerade Tee. Was habe ich denn Ihrer Meinung nach mit der Sache zu tun?«
»Es geht um die Uhlenburg«, sagte Pia knapp. Sie erkannte an der Art, wie sein Rücken sich straffte, dass das Thema ihm nicht behagte. Sie folgte ihm durch die Diele in ein bieder eingerichtetes Wohnzimmer. Zwei wuchtige Sofas und ein Sessel in dunklem Leder gruppierten sich um einen ovalen Couchtisch aus Kirschbaumholz, und ein bunter Persianer bedeckte die hellgrauen Fliesen, die sich durch das gesamte Erdgeschoss zu ziehen schienen. Nicht gerade das, was sie bei jemandem in Waskamps Alter erwartet hätte. Ein weiterer Mann erhob sich, als sie eintrat. Er war gut zwanzig Jahre älter als Waskamp und lächelte einnehmend, als sie ihn begrüßte.
»Martin Gregorian«, stellte er sich vor. »Ich wusste nicht, dass du noch Damenbesuch erwartest, Sven.«
»Kein Damenbesuch. Polizei«, sagte Waskamp.
Gregorian neigte den Kopf. »Ich wollte sowieso gerade gehen. Leider … Meine Frau wartet auf mich. Wir sind heute Abend zum Essen eingeladen.«
»Nun trink noch in Ruhe deinen Tee aus, Martin«, forderte Waskamp ihn auf. An Pia gewandt, sagte er: »Martin Gregorian ist mein Onkel. Er lebt seit Ewigkeiten in Kargau und kennt Gott und die Welt. Nicht wahr, Martin? Wenn Sie Fragen zur Uhlenburg haben, ist er eigentlich der ideale Gesprächspartner.«
»Aber die Zeiten, als die Polizei noch regelmäßig auf der Uhlenburg nach dem Rechten sehen musste, sind doch Gott sei Dank vorbei«, bemerkte dieser. Er leerte seine zierliche Teetasse mit einem Schluck. »Ich bedaure, aber ich muss jetzt wirklich aufbrechen. Kommen Sie gern bei mir vorbei, wenn Sie Näheres über Kargau oder die Uhlenburg wissen wollen. Sven kann Ihnen sagen, wo Sie mich finden.«
Pia gab eine unverbindliche Antwort und wartete, bis sich Gregorian von seinem Neffen verabschiedet hatte.
»Was wollen Sie? Warum interessiert sich die Kripo für die Uhlenburg?«, fragte Waskamp, nachdem er sich wieder ihr gegenüber in den Sessel hatte fallen lassen. Er schlug ein Bein über, sein Fuß wippte ungeduldig.
Pia zögerte einen Moment. Sie war dieser Spur von der Uhlenburg zu Waskamp gefolgt wie bei einer Schnitzeljagd und wusste einen Moment lang nicht, wie sie den Bogen zu den Mordermittlungen im Fall Feldheim schlagen sollte. So lässig Sven Waskamp sich gab – sein Unterkiefer schob sich unentwegt vor und zurück, und seine Augen wanderten immer wieder zur Tür. Pia entschied sich dafür, die Informationen, die Waskamp von ihr erhalten musste, so knapp wie möglich zu halten. Sie berichtete von dem Mord an Timo Feldheim und erklärte, dass über die Witwe des Opfers eine Verbindung zur Uhlenburg bestand. »Ich habe gehört, dass Sie damals schon hier in der Umgebung gelebt haben. Sie hatten Kontakt zu einem der Mädchen im Heim. Zu Tamara Kalinoff.«
»Wegen der alten Geschichte sind Sie hier?«
»Genau. Es besteht die Möglichkeit, dass ein Zusammenhang zu unserer aktuellen Ermittlung besteht. Können Sie mir sagen, wie ihr Verhältnis zu Tamara Kalinoff ausgesehen hat?«
»Das ist lange her. Ich war damals neunzehn Jahre alt, und Tamara war sechzehn oder so. Sie ist mir aufgefallen, weil sie ausgesprochen hübsch war, und außerdem schien sie mir schon recht reif für ihr Alter zu sein, während ich in der Beziehung wohl eher ein Spätzünder war. Nach ein paar unauffällig ausgetauschten Briefchen und verlegenen Treffen sind wir miteinander gegangen – so sagte man doch damals? Im Klartext hieß das, dass wir uns ein paar Mal heimlich in der Remise oder auf dem Dachboden des Torhauses getroffen haben, um miteinander zu knutschen. Ich habe damals bei meinem Onkel und meiner Tante gewohnt, Tamara im Heim, sodass wir keinen Platz hatten, wo wir hinkonnten. Es war
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