Ostseeblut - Almstädt, E: Ostseeblut
einem Achterknoten befestigt war. Das Seilende war an einen Metallkorb geknotet gewesen, der sich neben der Toten im Wasser befunden hatte. Der Metallkorb wird laut Winsen sonst zur Aufbewahrung von Schwimmwesten und Tauchringen benutzt und befindet sich normalerweise am Beckenrand in der Nichtschwimmerzone. Der Metallkorb hatte den Körper am Auftreiben gehindert.
Bei unserem Eintreffen liegt die Leiche am Beckenrand auf den Fliesen. Der Notarzt hatte nach Bergung des Körpers festgestellt, dass eine Wiederbelebung zwecklos sei, da das Mädchen seit mehreren Stunden tot sein musste. Zur Bergung der Leiche war das Seil von dem Metallkorb im Wasser mit einem Messer durchtrennt worden. Der Metallkorb befindet sich noch am Beckengrund.
Die Augen der Toten sind geöffnet, der Mund steht offen.
Sie ist mit einem für die Jahreszeit zu leichten, hellen Sommerkleid bekleidet. Unterleib, Beine und Füße der Leiche sind unbekleidet. Das Kleid weist vom Wasser stark ausgewaschene Flecken auf; dem Augenschein nach handelt es sich um Blut. Äußere Verletzungen, insbesondere solche, die auf Gewalteinwirkung schließen lassen, die zum Tod des Mädchens hätten führen können, werden bei der ersten, äußeren Leichenschau nicht gefunden.
Ermittlungen
Bei der Durchsuchung der Schwimmhalle finden sich in der hintersten Umkleidekabine, die laut Erziehern und dem Direktor des Heims nur sehr selten genutzt wird, da es sich um eine Herren-Einzelumkleidekabine handelt, auf einem Plastiksitz liegend, ein dunkelblauer Wintermantel und auf dem Fußboden ein Paar dunkelblaue Halbschuhe sowie eine geblümte Baumwollunterhose mit Blutflecken. Den Auszeichnungsetiketten nach handelt es sich dabei um Kleidungsstücke der Toten. In den Taschen des Wintermantels befinden sich eine getragene, beige Nylonstrumpfhose der Größe 40 bis 42 sowie ein einzelner Schlüssel mit Ring, der zur Halleneingangstür des Schwimmbades passt. Die Herkunft des Schlüssels konnte nicht eindeutig geklärt werden, da im Heim kein Schlüssel vermisst wird. Es scheint sich um einen nachträglich angefertigten Schlüssel zu handeln. Im Fußbodenbereich der Umkleidekabine ist ein eingetrockneter dunkelroter Fleck, dem Augenschein nach Blut, von ca. einem halben Quadratmeter Ausmaß zu sehen. Ferner liegen am Boden der Umkleidekabine ein aufgebogener Kleiderbügel aus Draht, wie man ihn in Reinigungen erhält, an dem sich ebenfalls dunkle Flecken, wahrscheinlich Blutspuren, befinden und ein ebenso verschmutztes Baumwoll-Geschirrtuch, das angeblich nicht zum Inventar des Erziehungsheims gehört.
Pia schob den Bericht ein Stück von sich weg. Ohne es recht zu merken, legte sie eine Hand auf ihren leicht gewölbten Bauch. Marianne Fierck hatte ihr ja schon gesagt, was passiert war: eine versuchte Abtreibung im fünften Schwangerschaftsmonat. Da war der Fötus schon achtzehn Zentimeter groß und wog fünfhundert Gramm. Mit einem Drahtbügel …
Ihre allgegenwärtige Übelkeit verstärkte sich, und kurz befürchtete sie, den Papierkorb zu Hilfe nehmen zu müssen. Pia atmete tief ein und aus, löste leicht befremdet die Hand von ihrem Bauch und las weiter.
Die Untersuchung des Schwimmbades und die Befragung der Heimschülerinnen und Erzieherinnen ergaben keinerlei Hinweise darauf, dass sich zur Tatzeit außer Tamara Kalinoff noch eine oder mehrere andere Personen im Schwimmbad aufgehalten haben. Laut Aussagen der Mädchen in ihrer Wohngruppe hatte sich Tamara Kalinoff am Vortag nach dem Zubettgehen um 22 Uhr ohne Erlaubnis der Gruppenleiterin aus ihrem Schlafraum entfernt, um eine Verabredung außerhalb des Heimgeländes wahrzunehmen, wie sie ihrer Zimmergenossin Janet Domhoff erzählt hatte. Wo oder mit wem sie verabredet war, weiß Janet Domhoff nicht. Das Verlassen des Heimgeländes nach der offiziellen Nachtruhe scheint jedoch nicht zum ersten Mal von Tamara Kalinoff so praktiziert worden zu sein. Als das Mädchen am nächsten Morgen nicht in ihrem Bett lag, verständigte Janet Domhoff zunächst eine weitere Heimschülerin, Katja Simon, und die beiden Mädchen machten sich innerhalb des Heimgeländes auf die Suche nach Tamara, jedoch ohne Erfolg.
Erst Solveigh Pahl hatte sie im Becken gefunden – tot. Der Stärke der Akte nach zu urteilen, war die kriminalpolizeiliche Untersuchung trotz des augenscheinlichen Verdachtes auf Selbstmord mit großer Gründlichkeit betrieben worden. Hatten die Ermittler Zweifel am Tatbestand des Suizids gehabt? Pia versuchte, aus den
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