Ostseeblut - Almstädt, E: Ostseeblut
mit Solveigh, deren laute Schluchzer die Anwesenden bestimmt zu der Annahme verleitet hatten, sie sei Timos Witwe. Ein Graus, das Ganze. Sie, Katja, würde von dem sorgfältig ausgewählten Essen sowieso keinen Bissen herunterbringen.
Aus dem Augenwinkel sah sie, wie der Kriminalbeamte mit einem Glas in der Hand auf sie zukam. Insgesamt hatte sich die angespannte Stimmung spürbar gelöst, seit sie das Restaurant betreten hatten. Katja sah, wie sich die eben noch todernste Gesellschaft zu plaudernden Grüppchen zusammenfügte. Es würde nicht lange dauern, bis erste Witze gerissen wurden.
»Das wäre überstanden«, sagte Maiwald mit einem forschenden Blick in ihr gefasstes, von Tränenspuren unbehelligtes Gesicht. »Ich mag Trauerfeiern nicht. Zu viele aufgesetzte Gefühle. Sie doch auch nicht, oder?« Das war immerhin hellsichtig von ihm, wenn auch nicht gerade taktvoll.
»Wem wollen Sie hier unterstellen, seine Trauer sei nur aufgesetzt?«, fragte Katja mit einem Blick in die Runde.
»Niemandem. Aber Trauer ist doch etwas sehr Privates; das kann man nicht durch eine formelhafte Zeremonie abarbeiten.«
»Eine erfrischende Ansicht. Aber da ich das alles bezahle …«, sie sah ihn missbilligend an, »erwarte ich auch ein wenig zeremonielles Benehmen.«
»Nichts für ungut, Frau Simon. Ich bin beruflich hier. Ist Ihnen vorhin irgendetwas aufgefallen?«
»Die Rede war belanglos und hatte nichts mit Timo zu tun.«
»Ich meinte, ob jemand auf dem Friedhof oder in der Kapelle war, der dort Ihrer Meinung nach nichts zu suchen hatte?«
»Nein. Bis auf die Kirchenlerchen natürlich.«
»Kirchenlerchen?«
»Die Damen und Herren, die gern zu jeder Trauerfeier kommen und als Einzige die Texte der Lieder kennen. Manchmal haben sie hinterher auch Hunger oder Durst …«
»Ich meinte ungewöhnliche Leute.«
»Verdächtige?« Sie lächelte schwach. Ihre Schwägerin sah neugierig zu ihr herüber. War es ihr als Witwe nicht erlaubt, mit einem ihr unbekannten Mann so lange zu reden?
»Ihr Spott ist fehl am Platz, Frau Simon.«
»Ach ja? Wo haben Sie eigentlich Ihre nette Kollegin gelassen?«
»Die ist verhindert«, versetzte er und trat den Rückzug an.
»War das etwa ein Polizist?«, fragte Chrissie, die sich an sie herangeschlichen hatte.
»Nein. Mein Liebhaber.«
»Was?« Chrissie starrte sie empört an, doch dann huschte ein Grinsen über ihr Gesicht, und sie drohte Katja spielerisch mit dem Finger. »Fast hättest du es geschafft, Katja. Micha hat mich ja gewarnt …«
»Wie bitte?«
»Ach, du weiß doch, wie er ist …«
»Nein.«
»Er weiß alles besser. Typisch Mann«, buhlte sie um Katjas Zustimmung.
»Und was glaubt er, über mich zu wissen?«
Katja sah, wie sie zwischen ihrem Wunsch nach Diskretion und dem Verlangen schwankte, etwas Bedeutendes preiszugeben. »Er glaubt, eure Ehe war nicht besonders gut. Aber das hat natürlich nichts damit zu tun, dass jemand denken könnte, dass du nicht furchtbar traurig bist …«
»Wie kommt dein Mann auf so etwas?«
»Stimmt es nicht?«
»Nein.« Kurz fragte sich Katja, ob Timo a) etwas von Sven gewusst hatte und b) sich ausgerechnet seinem Bruder anvertraut haben könnte.
»Dann ist es ja gut. Er meinte nur … Na ja, nach allem, was du durchgemacht hast, wäre es nur natürlich, wenn du vielleicht Bindungsängste gehabt hättest.«
»Bindungsängste?«
»Du darfst da nichts drauf geben«, sagte Chrissie und legte eine weiche kleine Hand auf Katjas Oberarm. Ihre Augen brannten vor Neugierde. Dann sah sie beunruhigt zu ihrem Mann, der gerade von Maiwald befragt wurde.
»Entschuldige mich«, meinte Katja und riss sich los. Sie stolperte in Richtung Garderobe und suchte einen Winkel, wo sie niemanden mehr sehen musste. Nach allem, was du durchgemacht hast … Was hatte Timo über sie erzählt? Das war ihr Leben und ging niemanden etwas an! Sie wollte nicht weiter darüber nachdenken. Nicht so wütend werden, dass ihr vielleicht noch vor Wut die Tränen kamen. Vor allem sollte ihr Sohn sie nicht so aufgelöst sehen. Sie musste sich beruhigen.
Katja zog ihr Telefon hervor und wählte Svens Nummer.
Er meldete sich nach dem zweiten Klingeln. »Hey, Katja. Ich habe gerade an dich gedacht. Alles überstanden?« Er schien ihr nichts nachzutragen. Was immer er an ihr mochte, was immer er in ihr sah, es war noch da.
»Es tut gut, dich zu hören, Sven«, sagte sie. »Lenk mich bitte einen Moment ab.«
Da ging die Tür auf, und Solveigh trat in den
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