Ostseeblut - Almstädt, E: Ostseeblut
Kindsvater gewesen sein kann.«
»Ist das möglich?«
»Manchmal schon. Es gelingt immer mal wieder, alte Fälle mithilfe der heutigen technischen Möglichkeiten zu lösen. Mordfälle, Sexualdelikte … Menschen, die jahrelang unschuldig im Gefängnis gesessen haben, wurden deswegen schon freigesprochen. In diesem Fall stehen die Chancen aber schlecht. Die Polizei hatte damals Proben aufgehoben, weil wohl Zweifel am Tatbestand des Suizids bestanden, aber das Material ist inzwischen wahrscheinlich unbrauchbar geworden.«
»Ich glaube, die heutigen Möglichkeiten, den biologischen Vater eines Kindes festzustellen, sind nicht nur ein Segen«, sagte Hinnerk.
Pia wurde heiß. Gut, dass er ihr Gesicht nicht sehen konnte! »Warum?«, fragte sie.
»Was verbindet die Eltern mit ihrem Kind? Die Gene oder ihre emotionale und soziale Beziehung?«
»Beides. Würdest du es denn wissen wollen?« Die Worte waren ausgesprochen, bevor Pia über die Konsequenzen nachgedacht hatte. Hinnerks Hände hielten in der Bewegung inne.
»Ob ich der Vater deines Kindes bin?«
Jedes Ausweichen käme einer Lüge gleich, die in Zukunft alles noch schlimmer machen würde.
»Ich bin mir ziemlich sicher, dass du der Vater bist, aber …«, sagte sie.
»Was heißt das, Pia?«
Es hieß, was es hieß. »Ziemlich sicher« ist nicht »vollkommen sicher«. Jetzt musste sie da durch.
»Hattest du was mit diesem Andrej, der unter dir wohnt? An dem Abend vor deinem Abflug nach Italien? Es kam mir gleich so merkwürdig vor …«, fragte er, bevor sie sich eine Antwort überlegt hatte.
»Nein«, sagte sie fest. »Ich hatte nichts mit Andrej. Nicht vor Italien und auch sonst nie.« Doch das war nur die halbe Wahrheit, und Hinnerk hatte mehr verdient. Pia stand auf und drehte sich zu ihm um, um ihm in die Augen zu sehen. Sie hasste es, ihm wehtun zu müssen. »Es war ein ehemaliger Kollege von mir, ein einmaliger Ausrutscher … während meiner Ermittlungen in Italien. Es ist ganz unwahrscheinlich, dass er der Vater ist.«
»Aber nicht unmöglich?«
»Nein.«
Hinnerk starrte sie an. Sein Schweigen war schlimmer, als wütende Anschuldigungen es gewesen wären. »Und das sagst du mir erst jetzt?«, fragte er endlich.
»Ändert es etwas?«
»Alles. Im Moment ändert es alles«, sagte er.
Nach den Wochen permanenter Übelkeit passierte es ihr jetzt zum ersten Mal, dass sie sich übergeben musste. Sie rannte ins Badezimmer, und als ihr Magen seinen wütenden Protest endlich aufgegeben hatte, stellte Pia fest, dass sie allein in der großen Wohnung war.
20. Kapitel
H allöchen, einen wunderschönen …«, grüßte Maiwald, als er sich neben Pia auf den Beifahrersitz fallen ließ. Er hatte sich offensichtlich vorgenommen, bester Laune zu sein.
Gabler hatte vorgeschlagen, dass er und Pia heute zusammen nach Kargau fahren sollten, um die anstehenden Befragungen durchzuführen. Der Plan behagte ihr nicht. Sie hätte heute gern mit jedem anderen Kollegen zusammengearbeitet, nur nicht mit Olaf Maiwald. Dazu fühlte sie sich nach der letzten Nacht nicht widerstandsfähig genug. Pia nickte ihm zu und ordnete sich in den fließenden Verkehr vor Maiwalds Haus ein.
»Alles in Dortmund?«, fragte er, nachdem sie vor der ersten roten Ampel zum Stehen gekommen war.
Alles Roger in Kambodscha, dachte sie, nickte nochmals und beschleunigte den Wagen. »Ich habe heute Nacht schlecht geschlafen. Geben Sie mir eine halbe Stunde Zeit, um richtig wach zu werden.«
»Alles Klärchen!« Er lehnte sich, offensichtlich zufrieden mit dieser Erklärung, in seinem Sitz zurück.
Die Tage des »goldenen Herbstes« waren vorbei. Der frühe November zeigte sich von seiner ungemütlichen Seite. Feiner Nieselregen verwandelte Schmutz und verrottete Blätter auf Gehwegen und Straßen in einen Schmierfilm. Fußgänger hasteten mit eingezogenen Köpfen und unter Schirmen dem nächsten Dach entgegen oder standen dicht gedrängt an den Haltestellen zusammen. Als Pia auf die Autobahn fuhr, musste sie schon auf dem Beschleunigungsstreifen den Takt ihres Scheibenwischers höher einstellen. Entfernte Bäume, Höfe und Wälder zeigten sich als milchige Silhouetten am Horizont.
»Sie lernen Kargau heute nicht gerade von seiner besten Seite kennen«, sagte Pia, als sie endlich in das Waldstück einfuhren, in dem die Uhlenburg lag. »Eigentlich ist es ganz idyllisch hier – wenn man es ländlich und beschaulich mag.« Wie zur Untermalung pladderten dicke Wassertropfen aus den Bäumen auf
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