Ostseeblut - Almstädt, E: Ostseeblut
ich mich damals nicht damit befasst. Das war Sache der Polizei. Meine Gedanken haben sich darum gedreht, warum Tamara es getan hat …«
»Haben Sie für sich eine Antwort darauf gefunden?«, fragte Pia. Marianne Fierck stellte das Bügeleisen in die Halterung, und eine Wolke von Dampf stieg daraus auf.
»Nein, nicht wirklich. Tamara war ein in sich gekehrtes, eigenwilliges Mädchen. Offen gestanden habe ich sie nicht für herausragend intelligent gehalten. Aber trotzdem konnte man von ihr erwarten, dass sie sich in einer Notlage jemandem anvertraut. Zu versuchen, nachts allein in einer Umkleidekabine des Schwimmbades einen Schwangerschaftsabbruch herbeizuführen, noch dazu in diesem späten Stadium …« Marianne Fierck schüttelte ratlos den Kopf. »Der reine Irrsinn. Und sich dann auch noch umzubringen … so unnötig! Das war für uns alle keine einfache Zeit, verstehen Sie?«
»Vielleicht hat sie sich ja jemandem anvertraut. Zum Beispiel dem Vater des Kindes. Er könnte ihr sogar gesagt haben, was sie tun soll, um die Schwangerschaft zu beenden.«
Pia sah überrascht zu Maiwald hinüber. Warum hatte sie noch nicht daran gedacht? Und woher hätte Tamara wissen sollen, wie sie bei einem Abbruch vorgehen soll? Allein bei der Vorstellung, mit einem Drahtbügel den eigenen Unterleib zu traktieren, graute es Pia.
»Mir hat sie sich jedenfalls nicht anvertraut«, sagte Marianne Fierck heiser. »Sie hätte zu einem früheren Zeitpunkt über die soziale Indikation ganz legal abtreiben können. Oder sie hätte das Kind nach der Geburt zur Adoption freigeben können … Sie hätte es einfach bekommen können. Sie hätte jedenfalls nicht sterben müssen.«
»Wissen Sie, ob es zu der Zeit jemanden in Kargau gab, der illegale Abtreibungen durchgeführt hat?«, fragte Pia. Sie war sich mit einem Mal sicher, dass das Mädchen nicht aus eigenem Antrieb zum Drahtbügel gegriffen hatte. Irgendwer musste sie auf die Idee gebracht haben.
»Wir sprechen hier über das Ende der Achtzigerjahre. Wenn es nicht anders ging, fuhren die Frauen eher nach Holland, als ihr Leben in die Hände irgendeines Quacksalbers zu legen«, sagte Maiwald.
»Aber Tamara hatte nicht die Möglichkeit, mal eben nach Holland zu fahren«, entgegnete Marianne Fierck. »Außerdem war es auch die Zeit der Prozesse in Memmingen gegen diesen Abtreibungsarzt … Aber wenn ich mich richtig erinnere, gab es mal eine Frau in der Umgebung … Die Adresse wurde nur hinter vorgehaltener Hand weitergegeben. Ich habe mich nicht für diese Dinge interessiert. Es hat mich Gott sei Dank nie betroffen.«
»Wer könnte etwas darüber wissen?«, fragte Pia. Sie versuchte, ihre mittlerweile gefühllosen Zehen in den Stiefeln zu bewegen. Die Luft war in Kopfhöhe feucht und warm, am Boden eiskalt.
»Die ältere Generation, die Frauen, die es wussten – die meisten von ihnen sind längst tot und begraben, denke ich.«
Ein energisches Klopfen an der Haustür unterbrach sie. Marianne eilte zur Tür und brachte mit einem kühlen Luftschwall eine distinguiert aussehende Frau mit herein, auf deren Kopf ein lodengrüner Hut mit Feder saß.
»Die Kriminalpolizei aus Lübeck – meine Nachbarin, Eveline Gregorian«, stellte Marianne Fierck vor.
Frau Gregorian streckte Pia eine kleine Hand in einem weichen schwarzen Lederhandschuh entgegen. Martin Gregorians Frau, wie Pia vermutete. Sven Waskamps Tante. Sein Alibi.
»Erfreut. Ich hoffe, Sie sind nicht hier, um unsere liebe Marianne zu verhaften?« Sie lachte künstlich.
Maiwald und Pia verneinten etwas gequält, während Marianne Fierck Stapel von gebügelter Wäsche in einen großen Korb sortierte und auf dem Tisch bereitstellte.
»Ich bin noch nicht ganz fertig geworden, Eveline. Aber das hier kannst du schon mitnehmen. Den Rest bringe ich dir nachher rüber.«
»Ich wohne nebenan in dem Reetdachhaus mit den grünen Fensterläden«, sagte Eveline Gregorian. »Wenn Sie mich also auch noch befragen wollen …« Sie schien nicht abgeneigt, sich ausfragen zu lassen. Wahrscheinlich langweilte sie sich zu Hause und brannte vor Neugierde, was ihre Nachbarin mit der Polizei zu schaffen hatte.
»Leben Sie schon lange in Kargau?«, fragte Maiwald. Bei seinem schroffen Ton errötete Eveline Gregorian. Pia sah, dass Marianne Fierck über ihrem Bügelbrett verstohlen lächelte. Die Nachbarinnen schienen nicht gerade die besten Freundinnen zu sein, was dem Arrangement, Bügelwäsche wegzugeben, eine pikante Note gab.
»Oh … Mein
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