Ostseefluch
Eintreffen der Kollegen mit dem Gesicht nach unten auf dem Rasen.« Gabler sah in die Runde. »Da ist noch etwas: Rudolf Ingwers hat bei seiner ersten Befragung gesagt, er habe, als er sich zu Maren Rosinski runterbeugte, jemanden weglaufen gehört.«
»Praktisch für ihn«, bemerkte Michael Gerlach.
»Was war mit den Pfauen? Haben die nicht einen Mordsradau veranstaltet?«, fragte Broders.
»Von Pfauen weiß ich nichts«, meinte Gabler irritiert.
»Die Spurensicherung ist übrigens noch vor Ort, aber nachdem gestern Ingwers und eine komplette Rettungsmannschaft dort herumgetrampelt sind, besteht wenig Aussicht, noch was zu finden, das auf den Angreifer hindeutet.«
»Auch das kommt Ingwers sicher ziemlich gelegen«, sagte Broders.
»Wieso? Er hat doch sowieso eine gute Erklärung für jede Spur, die auf ihn hinweisen könnte. Schließlich hat er Maren Rosinski ja gefunden«, warf Rist ein.
Pia hatte Manfred Rist noch gar nicht bemerkt und warf ihm einen raschen Blick zu. Er saß ganz vorn, direkt neben Gabler.
»Den Eheleuten Ingwers und Milenas Mitbewohnern auf Mordkuhlen gilt zurzeit unsere besondere Aufmerksamkeit. Ich will heute Nachmittag wissen, wo jeder Einzelne von ihnen gestern Abend zur Tatzeit gewesen ist. Das könnte sich in Kombination mit den Alibis, die wir für den Vormittag erhalten haben, an dem Milena Ingwers ermordet worden ist, und denen für den Abend, an dem Judith Ingwers bedroht wurde, als aufschlussreich erweisen.«
Gabler stand auf und reckte sich. Pia hörte ein leises Knacken und Knirschen und schauderte. Auch Rist schien den Chef des K1 aufmerksam zu mustern. Fragte er sich gerade, wie sich die Arbeit im Laufe der Jahre wohl auf Gablers Gesundheitszustand ausgewirkt hatte? Wann er den Belastungen nicht mehr gewachsen sein würde? Seine Bemerkung am gestrigen Tag hatte Pia nachdenklich gemacht, wie wohl seine genauen Pläne im K1 aussahen. Apropos Gesundheit: Sie selbst kam seit Felix’ Geburt kaum noch dazu, Sport zu treiben, und selbst in ihrem Alter merkte sie schon, wie die überwiegende Schreibtischarbeit und der mangelnde Ausgleich ihren Tribut forderten. Sie nahm sich fest vor, endlich mal wieder Fahrrad zu fahren oder laufen zu gehen.
Broders berichtete mittlerweile von seinem Besuch in Milena Ingwers’ ehemaligem Ausbildungsbetrieb, und Pia zwang sich, sich wieder auf die Besprechung zu konzentrieren. Es handelte sich bei dem Betrieb um ein Blumengeschäft, dessen Besitzerin Milenas Eltern recht gut kannte. Sie war bei Rudolf Ingwers in der Gärtnerei beschäftigt gewesen, bevor sie sich selbstständig gemacht hatte. Deshalb hatte sie Milena trotz ihrer schlechten Schulnoten, des verbummelten Jahres und ihres mangelnden Engagements eine Chance geben wollen. Vergeblich, wie sich herausgestellt hatte. Milena sei von Anfang an lustlos und unzuverlässig gewesen, hatte sie ausgesagt. Nicht ungeschickt, was die handwerkliche Seite des Berufes anging, aber im Umgang mit Kunden eine Katastrophe. Als sie dann mehrmals unentschuldigt gefehlt hatte und der Ausbilderin dann auch noch mit frechen Ausreden gekommen war, hatte diese das Lehrverhältnis beendet. Es habe ihr zwar für die Eltern leidgetan, aber sie habe dann doch lieber engagierteren jungen Menschen eine Ausbildung ermöglichen wollen, hatte sie Broders erzählt. Milena habe auf die Kündigung mit vollkommener Gleichgültigkeit reagiert. Ein schwieriger junger Mensch ...
Pia dachte an Milenas Elternhaus, die Fotoalben ... Rudolf und Judith Ingwers, die auf den ersten Blick alles dafür getan hatten, damit ihre Tochter glücklich heranwuchs. Und was war das Ergebnis gewesen? Sicher, Floristin zu werden war vielleicht nicht Milenas Traum gewesen. Aber im Hinblick auf die Gärtnerei ihres Vaters hätte das Ganze doch eine gewisse Perspektive gehabt. Oder sie hätte sich selbst um etwas anderes bemühen können. Doch irgendetwas war schiefgegangen. So schief, dass Milena schließlich ermordet worden war. Nur, was?
Pias Gedanken schweiften ab zu Felix: Wer garantierte ihr, dass bei ihm nichts schiefgehen würde? Was war der richtige Weg? Milenas Mutter hatte sich voll auf die Erziehung ihrer Tochter konzentriert – jedenfalls sah es so aus. Aber ihr eigener Weg, berufstätig zu sein und einer Tagesmutter einen Teil der Verantwortung für Felix zu übertragen, war auch keine Garantie dafür, dass es gut laufen würde ...
Broders gab inzwischen die Aussagen der Lehrer wieder, die Milena als stille, zunächst fleißige
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