Ostseegrab
das getan hatte. Sie suchten einen Zeugen, keinen Täter. Oder dachten sie vielleicht, dass Olli…? Tobias öffnete die Bierflasche mit einem Feuerzeug und trank einen Schluck. Er hatte richtig gehandelt. Olli war ein feiner Mensch. Sollte die Polizei sich eben ein bisschen mehr Mühe geben, ihn zu finden. Er würde seinen Freund nie verraten. Das war er ihm schuldig. Nach seinem Unfall damals hätte niemand damit gerechnet, dass er jemals woanders leben würde als in einem Pflegeheim. Fast alle Kumpels hatten irgendwann den Kontakt abgebrochen. Olli war einer der wenigen, der mit ihm, dem Krüppel, noch befreundet war. Wahrscheinlich musste Olli sich einfach nur ablenken. Nach St. Peter-Ording zu fahren war doch eine super Idee! Er hätte an seiner Stelle das Gleiche gemacht. Kiten! Aber hatte Olli denn überhaupt ein Brett dabei?
Tina saß mit Antonia und Paul auf der Terrasse und war dabei, Ravioli auf zwei Teller zu verteilen. Sophies Verabredung mit Ben hatte sie auf die Idee gebracht, den Kindern eine Dose warm zu machen. Die Kinder liebten das Zeug. Begeistert machten sie sich über die Nudeltaschen her. Pelle lag sabbernd unter dem Tisch. Als Sophie kam, sprang er begeistert auf. Sie trug eine ausgewaschene Jeans und ein tief ausgeschnittenes schwarzes Top. »Ganz schön sexy für ein Essen auf dem Campingplatz«, stellte Tina fest.
»Es ist eine Einladung zum Dinner. Da habe ich mich eben für das kleine Schwarze entschieden. Außerdem ist es schwül hier draußen.«
»Das wird heute noch ein Gewitter geben. Jede Wette. Ich hoffe, das Anwesen deines Kavaliers ist wasserdicht. Die Kinder wollten unbedingt draußen essen. Sie hoffen auf Blitz und Donner.« Immer mehr dunkle Wolken zogen auf. »Du solltest mit dem Auto fahren«, schlug Tina vor. »Da braut sich wirklich was zusammen.«
»Ach was, ich gehe zu Fuß. Bis das losgeht, dauert es bestimmt noch. Und es wird nicht die ganze Nacht regnen. Außerdem finde ich es spannend, durch den Sturm zu laufen.«
»Ich verstehe. Nomen est omen. Na, wie du meinst. Hast du die Zahnbürste?«
Sophie klopfte auf ihre Handtasche und nickte. »Das wird eine leichte Nummer.«
»Mir wird schlecht, wenn ich daran denke, dass der arme Olli sich damit wieder die Zähne putzt und nicht ahnen kann, dass sie in der Zwischenzeit in den Händen eines Leichendoktors war.«
»Der Leichendoktor hatte mit Sicherheit Handschuhe an«, beschwichtigte Sophie. »Ich werde mal losgehen. Pelle kann sich dann noch ein bisschen müde toben.«
»Damit er nicht stört?«, witzelte Tina. Sophie sah sie genervt an. »Ich hör schon auf. Soll ich dich fürs Frühstück mit einplanen?«
Sophie stöhnte. »Du bist wirklich wie eine Mama. Bis morgen!«
Sie verabschiedete sich von den Kindern und ging mit Pelle in Richtung Strand. Tina sah ihr grinsend nach. Ihre Freundin wirkte richtig aufgekratzt. Sie konnte sich gar nicht mehr erinnern, wann sie selbst zuletzt Schmetterlinge im Bauch gehabt hatte. Nicht, dass sie mit Sophie hätte tauschen wollen. Sie liebte Stefan über alles. Aber nach all den Jahren gab es eben nicht mehr viele Überraschungen. Es war doch merkwürdig, überlegte Tina. Als Teenager war man jede Woche in jemand anderen verknallt und dachte, man würde es nicht überleben, wenn man einen Korb bekam. Die Gefühle waren so intensiv gewesen und doch schwärmte man nie lange für denselben. Sie selbst war als Teenager in fast jeden coolen Jungen der Schule mal verliebt gewesen. Der dünne Benny war aber mit Sicherheit nicht unter ihren Favoriten gewesen. Der war damals immer so komisch. Ja, er war ein richtiger Einzelgänger. Ben interessierte sich nur für Tiere. Zu Hause hatte er angeblich einen halben Zoo. Tina erinnerte sich wieder. Sie hatte ihre Eltern mal über Benny reden hören, als sie noch klein war. Sie sprachen darüber, dass der Junge einem leidtun könne, weil seine Zwillingsschwester in der Wanne ertrunken war, als beide erst drei Jahre alt waren. Tina bekam ein ungutes Gefühl. Vielleicht wäre es besser, wenn sie Sophie anrief und ihr von der alten Geschichte erzählte. Sie ging zum Telefon und wählte Sophies Handynummer. Warum ging sie nicht ran? Ein Schrei ließ Tina zusammenzucken. Dann war das Heulen von Paul zu hören. Antonia rannte ihr bereits entgegen.
»Mama, Paul blutet! Er ist hingefallen! Voll gegen den Blumenkübel.«
Tina legte auf und rannte ins Haus. Sie bemerkte nicht, dass auf dem Wohnzimmertisch das Display von Sophies Mobiltelefon
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