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Ostseeliebe

Ostseeliebe

Titel: Ostseeliebe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gabriela Jaskulla
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allgemeinen Befehl gehorcht und ein paar Bunker in die Steilküste gegraben; doch keine Bombe streifte das unbedeutende Stückchen Land. So behielten die Inselbewohner ihr Hab und Gut, ihre Häuser und die Kirche, lebten, anders als fast alle anderen Deutschen, weiter in dem Gefühl grundlegender Sicherheit. Und so fanden sich in den Häusern auch Geschirr und seit Generationen weitervererbte Kostbarkeiten, die sonst im Osten des Landes ihresgleichen suchten. Daß alles so offen präsentiert, ja kunterbunt nebeneinander gezeigt wurde, das war ungewöhnlich, geschuldet vielleicht der neuen Zeit, in der es auszustellen galt, was man besaß - darin war Marianne eine gelehrige Schülerin der Nachwendezeit. Sie wollte feiern, unbedingt und großartig, heute und bis zur Erschöpfung. Und dazu mußte erst einmal die Normalität aus den Köpfen vertrieben werden, der Alltag. Also spielte Marianne, spielte aserbaidschanisches Lager und tunesisches Beduinenzelt, russisches Wahrsagerstübchen und Wiener Tafel. Alles auf einmal und alles jederzeit.

    Kleine samtbezogene Hocker luden zum Sitzen ein, hier und dort wartete ein kleiner Lehnsessel auf einen Besucher. Aber die meisten spazierten angeregt umher, die Frauen mit kleineren Schritten, die Männer aufrechter als sonst. Alle redeten mehr und viel schneller als üblich, aus einer gewissen Entfernung klang es wie Vogelgeplapper: das der Männer
wie das wichtige Geschnatter der Enten, das der Frauen höher und zwitschernder. Julia dachte an die prächtigen Eisvögel, die ihr in den Augustwochen auf der Insel aufgefallen waren. Jetzt sah sie viele grünschillernde weibliche Eisvögel auf und ab promenieren, die ihre festliche Aufmachung fröhlich vorzeigten.
    Renate war, wie sie lachend sagte, »als Mädchen« gekommen: Ein kirschrotes Barett saß schräg auf ihrem Kopf, dazu trug sie ein erdbeerfarbenes Mieder und einen weit ausgestellten blauen Rock. Damit wirkte Renate wie ein alterndes Rotkäppchen, das es sichtbar genoß, um all die umherstreifenden dörflichen Wölfe herumzuwedeln. Ihre Augen blitzten, zum ersten Mal fiel Julia deren tiefgrüne Farbe auf. Renates eigener Wolf, der brave Jan, war allerdings unter anderen Tieren auf der Pirsch. Julia hörte sein Lachen bei einigen jungen Mädchen aus dem Dorf. Doch Renate schien das nichts auszumachen: Sie sah glücklich aus an diesem Abend, denn sie wurde von ihrem Sohn begleitet. Der Internatszögling hatte sich sogar in eine der gefürchteten »Kombinationen« stecken lassen, die aus einer hellen Hose und dem unvermeidlich dunkelroten Jacket bestanden, und beinahe ohne Protest trug er die Krawatte, die ganz sicher seine Mutter dazu ausgewählt hatte. Auch Anselm Nothnagel entdeckte Julia, allerdings schlenderte der nicht - nein, er schritt, aufgerichtet von der ganzen Bedeutung seines Amtes, und grüßte in regelmäßigen Abständen nach rechts und links, gleichgültig, ob dort jemand stand, der den Gruß erwartete oder nicht. An seinem rechten Arm, den er in exaktem rechten Winkel gebeugt hatte, hing eine erstaunlich kleine, erstaunlich lebendig blinzelnde Person mit blonden Locken, deren üppige Figur ein grünes Dirndlmieder schier zu sprengen drohte. Nothnagel sah gelegentlich auf seine Frau und deren Dekolleté hinunter, nicht ungern, wie es schien. Er schwitzte.

    Lisas tiefe Stimme tönte aus einer Ecke, offenbar näherte sie sich der Pointe eines ihrer gefürchteten Witze. Und wirklich: Da stampfte sie schon ein paarmal mit dem Fuß auf, und alle um sie herum brachen in Gelächter aus. Der Fuß allerdings war bemerkenswert, denn Lisa hatte ihre müden Knochen in schwarze, sehr hochhackige Lackstiefeletten gezwängt, aus deren Schaft sonnengelbe Pluderhosen hervorquollen. Darüber trug sie eine schwarze Samtweste, die vorn von silbernen Schnallen kaum zusammengehalten wurde, eine weiße Rüschenbluse, und um Lisas Hals, der allmählich rot anschwoll, spannte sich obendrein noch ein samtenes Kropfband mit einer Elfenbeinbrosche.
    Auch Erika, die Inhaberin des Supermarktes in Stiftsdorf, hatte offenbar alles zusammengetragen, was Boden und Keller hergaben; ihr widerspenstiges Haar leuchtete pflaumenrot im Kerzenschein, sie wandte den Kopf hin und her, ein kleiner Vogel auf Beutezug. Und dann war da noch die Junge, die Maushaarige aus der Sauna, die, nachdem sie bei einem solchen Anlaß ihre übliche Brille daheim gelassen hatte, ein wenig angestrengt aus ihren kurzsichtigen Augen blinzelte. Sie hatte viele Meter fein

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