Ostseeliebe
durchsichtigen Chiffonstoffes um ein schlichtes schwarzes Trägerkleid drapiert und auf dem feinen Netzgewebe unzählige Papierrosen befestigt. Kleine Blumengirlanden bildeten auch die Träger des Kleides, und dieselben Rosen schmückten den kleinen Beutel, den die Maushaarige als Abendtäschchen bei sich trug. Aufregend sah auch ihr Begleiter aus, ein junger Mann, offenbar vom Festland, dessen sonnengebräunte Haut und dessen weißes Hemd den aufstrebenden Geschäftsmann verrieten, der es vorläufig noch schaffte, in der Mittagspause eines der vielen neuen Solarien zu besuchen, weil es einem angehenden Manager nicht gut anstand, erschöpft oder gar graugesichtig umherzugehen. Der Gebräunte zog viele bewundernde Blicke auf sich, wobei den
anderen anwesenden Männern vor allem die kostspielige Uhr auffiel, die er am Handgelenk trug und auf die er alle nasenlang schaute, so, als hätte er heute abend in dieser Einöde noch einen wichtigen Termin.
»Die Hemdenindustrie nimmt einfach keine Rücksicht auf Herzeigeuhren«, tuschelte Julia Anne zu, »schau mal, wie der Beau sich anstrengen muß, seine Seiko herzuzeigen.«
»Wieso, was hast du denn?« fragte Anne. »Der sieht doch ganz fesch aus. Du wirst doch nicht etwa sauertöpfisch, hm? Sonst lade ich dich auf der Stelle bei Biggi ab, schau mal!«
Tatsächlich: Biggi, die Freundin der Maushaarigen, saß allein in einem der vielen kleinen Korbsessel, den kleinen schwarzen Hut verrutscht, auf den Knien ein großes Glas mit Bier balancierend.
»Au weia, ich ahne, wie das endet...«
Anne und Julia schlenderten weiter. In der Mitte des großzügigen Raumes wartete schon eine festlich geschmückte Tafel auf die Gäste. Ultramarinblau leuchtete die improvisierte Tischdecke aus Lackfolie, auch Nelken und Rosen und selbst das Heidekraut hatte Marianne in den ihr genehmen Farben besprüht. Ein wenig Lackduft lag noch im Raum, und bei genauem Hinsehen entdeckte man Spuren der Dekoration an Iris’ Händen. Wieder warf Sven einen prüfenden Blick aus der Küche.
Beim Abendessen, als endlich alle an der Tafel Platz gefunden hatten, da verriet Marianne, was es zu feiern galt: Iris und Sven würden bleiben. Sie hatte es tatsächlich geschafft, sie zu überreden. Nun war eigentlich nichts Besonderes dabei, daß zwei Angestellte nach einer angemessenen Probezeit ihren Vertrag verlängerten; Marianne aber maß solchen Entscheidungen sehr viel, ja geradezu symbolische Bedeutung bei, nicht weiter erstaunlich, wenn man bedachte,
daß sonst vor der enormen Person Kinder und Hunde Reißaus zu nehmen pflegten. Und außerdem hatte sie mit den beiden weit mehr vor, als sie Pizzas und Schnitzel zubereiten zu lassen. Marianne, das verkündete sie nun majestätisch, während ihre Gäste die Suppe löffelten, eine Wildconsommé erstklassiger Qualität, hatte einen Plan. Begeistert nickte sie nach beiden Seiten, und es tat ihrer Vornehmheit keinen Abbruch, daß sich dabei immer mal wieder eine Feder aus ihrem Hut verselbständigte und sachte, aber unaufhaltsam in den Suppenteller des Nachbarn segelte... Und während die anderen später mit Entzücken an ihren Hasenkeulen herumknabberten, erläuterte Marianne endlich, was sie vorhatte.
Die Insel sollte ihre Bedeutung als Künstlertreffpunkt wiedergewinnen, der sie einmal gewesen war. Marianne erinnerte an Jahre, als sich hier im Sommer mathematische wie kunsthandwerkliche Genies gleichermaßen eingefunden hatten, Maler, Dichter, die ersten Psychoanalytiker, die sich in der Geruhsamkeit des Inselalltags erholten von den Anfeindungen, denen sie in ihren heimatlichen Städten ausgesetzt waren. Bedeutende Ärzte waren darunter gewesen, solche, die - gewiß nicht immer erfolgreich - mit neuartigen Formen der Narkose experimentiert hatten, Hypnotiseure, Anhänger chinesischer und ayurvedischer Medizin. Das alles, so erläuterte Marianne, habe es zu Beginn dieses Jahrhunderts und noch einmal in den zwanziger Jahren gegeben - hier, auf diesem kleinen Eiland, das eigentlich nichts zu bieten hatte, wenn man eben genau von diesem Umstand absah: Es war exakt dieses Ereignislose und Undramatische, dieses Genügsame der Insellandschaft gewesen, was die großen Geister damals angezogen hatte...
»Und jetzt wird es Zeit, daß wir ihnen etwas zurückgeben!« sagte Marianne feierlich.
Und wie auf ein Stichwort erschien aus einem Nebenraum
Sven und schleppte einen gewaltigen Koffer mit sich. Mariannes berühmte Koffer. Hastig wurde die Tafel um Mariannes Platz
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