Ostwind (German Edition)
Maria Kaltenbachs Gesicht. Sie nickte. Es war eine kaum sichtbare Geste voller Respekt. Herr Kaan erwiderte ihren Gruß.
Dann richteten sich aller Augen auf den Reitplatz.
»Und jetzt, vom Gestut Kaltenbach mit der Startnummer 23, Michelle von Ridder auf Weingraf«, kündigte die Lautsprecherstimme an.
Im nächsten Moment ritt auch schon Michelle elegant in die Arena ein. Sie grüßte zackig. Das Publikum applaudierte. Der Landestrainer und Maria Kaltenbach nickten ihr von der Tribüne aus wohlwollend zu.
Michelle wendete Weingraf und druckte ihm die Sporen in die Flanken. Weingraf galoppierte an. Er wirkte schwerfällig. Doch das erste Hindernis nahm er problemlos, auch das zweite. Michelle ließ nicht locker. Immer wieder zog sie Weingraf den Kopf auf die Brust, bis ihm weißer Schaum aus dem Mund tropfte.
Währenddessen ritt Mika auf Ostwind vom Abreitplatz zur Halle. Ostwind tanzelte nervös hin und her.
»Ruhig. Hey. Ganz ruhig«, versuchte Mika ihn zu beruhigen. Doch auch sie fühlte sich unsicher und zunehmend besorgt.
In der Halle galoppierte Michelle nun den schnaubenden Weingraf an das letzte Hindernis heran: den Doppeloxer. Das Publikum hielt den Atem an, als sie absprang. Weingrafs Hufe krachten gegen Holz, die Stange wackelte – doch sie blieb liegen. Michelle stieß einen undamenhaften Jubelschrei aus.
»Das war Michelle Ridder, mit einer Zeit von 94,3 bei null Fehlern, und damit ruckt sie auf den ersten Platz« , meldete der Lautsprecher.
Es erscholl herzlicher Applaus. Michelle ritt aus. Friedrich Fink nickte Maria Kaltenbach anerkennend zu.
»Und nun, als letzter Start, mit der Nummer 24, ebenfalls vom Gestut Kaltenbach: Ostwind, vorgestellt von Mika Schwarz«, verkündete die Lautsprecherstimme.
Der Landestrainer sah Maria Kaltenbach an. »Ostwind?«, fragte er erstaunt.
»Und meine Enkelin«, verkündete Maria Kaltenbach stolz.
Am Eingang des Parcours wartete Mika ungeduldig auf den Startgong, während Sam ihr die Steigbugel festzog. Er sah, dass Mika sehr angespannt aussah.
»Alles okay?«, fragte Sam.
»Nein.« Mika schuttelte den Kopf. »Er hat irgendwas.«
Besorgt tastete Sam Ostwind ab, die Flanken, die Beine, schließlich streifte er seine bandagierten Fesseln. Da riss Ostwind den Kopf hoch und tanzelte zuruck. Mika hatte Muhe, sich im Sattel zu halten. Ausgerechnet in diesem Moment ertonte die Glocke.
Mika ritt zum Startpunkt. Ihr Blick glitt über die Tribüne. Sie schluckte, als sie die erwartungsvollen Gesichter der Zuschauer bemerkte. Friedrich Fink, Maria Kaltenbach, Tinka und die Pferdemadchen, das Publikum – alle verschwammen ihr augenblicklich vor den Augen. Doch dann blieb ihr Blick am äußersten Ende der Tribüne an einem vertrauten Gesicht hangen: Herr Kaan. Ihre Blicke trafen sich. Herr Kaan nickte Mika zu. Sie nickte zuruck und bekam neuen Mut. Jetzt wird doch noch alles gut, dachte sie erleichtert.
Von Weitem sah sie, wie Sam den Daumen demonstrativ für sie in die Höhe hob. Doch als Sam die Hand vor sein Gesicht hielt, streifte ein merkwürdiger Geruch seine Nase. Er hob seine Hände an die Nase und schnupperte. »Das riecht nach …«, murmelte er nachdenklich. Dann weiteten sich seine Augen.
Da ertönte die zweite Glocke. Mika galoppierte an. Sie ritt auf das erste Hindernis zu und übersprang es muhelos.
Von der Tribüne erscholl ein anerkennendes »Ahh« aus vielen Kehlen. Die perfekte Harmonie zwischen Pferd und Reiterin war für niemanden zu übersehen. Friedrich Fink war sichtlich beeindruckt, Maria Kaltenbach strahlte vor Stolz. Nur Herr Kaan verfolgte Mikas Ritt mit wachsendem Unbehagen. Denn er erkannte sofort, dass etwas nicht stimmte. Zwar übersprang Ostwind auch noch das nachste Hindernis, doch er wurde sichtlich nervoser.
Auch Mika spurte das. Vorsichtig beugte sie sich während des Ritts hinab zu seinem linken Ohr. »Was hast du? Was ist denn?«, fragte sie besorgt.
Ostwind wieherte verzweifelt, als wolle er ihr antworten. Aus den Augenwinkeln sah Mika, wie Sam ihr mit großen Gesten irgendein Zeichen geben wollte. Doch schon tauchte das nachste Hindernis vor ihr auf. Ostwind galoppierte an, er sprang kraftvoll ab. Doch diesmal beruhrte er die Hürde. Seine Fesseln krachten schmerzhaft gegen die Stange. Noch im Sprung baumte er sich auf und begrub mit einem Schritt nach vorn das Hindernis unter sich. Mika griff verzweifelt in Ostwinds Mahne, doch sie konnte sich nicht halten. Das Publikum schrie entsetzt auf. Mika fiel. Kaum am Boden
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