Ostwind (German Edition)
vollkommen woanders. Abwesend nahm sie ab. »Ja?«
Im nächsten Moment richtete sie sich hellwach auf. »Was? Wo?«, rief sie.
Ein Auto raste uber die staubige Zufahrtstraße und bremste mit quietschenden Reifen. Elisabeth und Dr. Anders sprangen aus dem Auto. Fanny stand vor dem Tor des Jugendcamps und hatte sie bereits erwartet.
»Wo ist sie?«, rief Mikas Mutter.
»In unserem Zelt. Ich wusste einfach nicht, was ich tun soll. Es geht ihr gar nicht gut. Sie ist auch krank, glaub ich«, erklärte Fanny unglücklich.
Mikas Mutter rannte sofort los, Fanny und Dr. Anders folgten ihr.
Der Anblick, der sich Mikas Mutter bot, als sie die Zeltplane zur Seite schlug, brach ihr fast das Herz. Auf dem Boden kauerte ein großes Pferd, das offensichtlich sehr krank war. Neben ihm lag Mika. Sie hatte die Augen geschlossen, war leichenblass und zitterte. Elisabeth kniete sich zu ihrer Tochter und zog sie in ihre Arme. »Mein Schatz, was machst du nur fur Sachen? Ich habe mir solche Sorgen gemacht«, sagte sie zärtlich.
Mika offnete die Augen. Sie glanzten fiebrig. »Mama. Er will nicht mehr aufstehen. Du musst ihm helfen«, flüsterte sie schwach.
Elisabeth wiegte Mika beruhigend hin und her. Sie sah fragend zu Dr. Anders, der bereits neben Ostwind kniete. Nach einer kurzen Untersuchung gab er Entwarnung. »Er hat eine Kolik. Ich spritz ihm einen Krampfloser«, erklärte er.
Elisabeth streichelte ihr Tochter. »Wir kummern uns um ihn«, beruhigte sie Mika.
Nun sackte Mika in den Armen ihrer Mutter vollends zusammen. Sie konnte sich kaum noch wach halten. Ihre Mutter fuhlte ihre Stirn.
»Du gluhst ja!«, stellte sie fest. Dann hob sie Mika hoch wie ein kleines Kind.
Als sie sie aus dem Zelt tragen wollte, versuchte Ostwind mit einem schmerzerfullten Wiehern noch einmal auf die Beine zu kommen. Auch Mika versuchte sich mit letzter Kraft aus den Armen ihrer Mutter zu befreien. »Nein! Bitte nicht, ich muss bei ihm bleiben. Ostwind!«, rief sie.
Aber sie war zu schwach. Und auch das Pferd brach wieder zusammen. Schnell trug Elisabeth Mika aus dem Zelt. Sie verfrachtete ihre Tochter auf dem Rücksitz und raste zurück Richtung Kaltenbach, wo Mikas Vater bereits auf sie wartete.
Wenige Stunden später lag Mika in einem sauberen Bett und schlief tief und fest. Ihr Arm hing an einem Tropf. Elisabeth und Phillip warteten ungeduldig auf das Untersuchungsergebnis.
Endlich erschien eine Ärztin. »Korperlich konnten wir nichts finden, es sieht eher aus wie ein schwerer Schock«, erklärte sie. »Wir haben ihr ein leichtes Beruhigungsmittel gegeben.«
Mikas Vater strich seiner Tochter besorgt uber die Stirn. Elisabeth atmete tief durch. Sie spürte nun ihre eigene Erschöpfung durch die lange Fahrt. Müde machte sie sich auf, um Kaffee zu holen.
Als sie mit den zwei Kaffeebechern zu Mikas Zimmer zurückkehrte, öffnete sich die Tur eines anderen Krankenzimmers. Ein alter Mann trat heraus. Elisabeth konnte es nicht glauben – es war Herr Kaan. Auf ihrem Gesicht spiegelte sich erst Uberraschung, dann Freude.
»Onkel Kaan?«, fragte Elisabeth.
Der alte Mann war ebenso uberrascht. Dann lachelte er. »Hallo, Elli.«
Mikas Mutter fühlte sofort die alte Vertrautheit. Ihr Onkel war früher immer für sie da gewesen, er hatte sie immer verstanden. Ohne viele Worte. Nun freute sie sich aus tiefstem Herzen, ihn zu sehen. Und auch Herr Kaan bekam, als er sie anschaute, einen weichen Ausdruck in den Augen. Froh über das Wiedersehen teilten sie sich den Kaffee und die Bank auf dem Krankenhausflur. Herr Kaan wollte wissen, was geschehen war. Und so erzählte Elisabeth in Kürze, was vorgefallen war.
»Das ist doch verruckt. Mika hat sich vorher auch nicht fur Pferde interessiert!«, schloss sie ihren Bericht.
»Maria hat die Gabe ihrer Tochter genauso wenig wahrgenommen wie du«, sagte Herr Kaan und schüttelte den Kopf. »Zwei so kluge Frauen, die so wenig sehen.«
Aber Mikas Mutter verstand nicht. »Was denn fur eine Begabung?«, wollte sie wissen.
»Sie spurt das Pferd. Sie fuhlt wie er. Es gibt nicht viele Menschen, die das konnen«, erklärte Herr Kaan.
Elisabeth sah ihren Onkel sprachlos an.
»Weißt du noch, als du damals zu mir gekommen bist?«, fragte Herr Kaan.
Elisabeth lächelte bei dieser Erinnerung. »Hmmh. Ich wollte von zu Hause abhauen, irgendwohin, wo keine Pferde sind«, sagte sie.
»Das ist dir ja wohl gelungen«, sagte Herr Kaan amüsiert. Dann stand er auf.
»Ich muss wieder zu meinem Enkel. Er ist
Weitere Kostenlose Bücher