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Otherland 1: Stadt der goldenen Schatten

Titel: Otherland 1: Stadt der goldenen Schatten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tad Williams
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Gardino, wenn jemand sowas Irres im Netz machen würde, käme es in den Nachrichten oder so.«
    Orlando zögerte kurz, dann rief er: »Beezle!«
    Eine Tür im Boden ging auf, und ein kleines Etwas mit rollenden Augen und zu vielen Beinen sprang heraus und eilte auf ihn zu. Es purzelte ihm vor die Füße, kratzte sich zu einem unordentlichen Haufen zusammen und sagte mit rauhem Brooklyner Akzent »Yeah, Boß?«
    »Such nach, ob du Meldungen über das eben von mir beschriebene Phänomen oder sonstige größere Netzanomalien findest. Und beschaff mir die Aufzeichnung der letzten Viertelstunde meines letzten Thargorspiels.«
    »Schon unterwegs, Boß.« Eine andere Tür ging im Boden auf, und Beezle flatschte hinein. Ein trickfilmartiges Getöse von polternden Töpfen und Pfannen und herunterfallenden Sachen erscholl, dann tauchte das Kerlchen mit wild fuhrwerkenden Extremitäten wieder auf, wobei es ein kleines schwarzes Quadrat hinter sich herschleifte, als wäre es der Anker eines Luxusdampfers. »Puh«, keuchte der Agent, »’n Haufen Zeug zu checken, Boß. Willste dir das mal anschauen, solang ich noch wühle? Is der Mitschnitt vom Spiel.«
    Orlando nahm das kleine Quadrat entgegen und zog daran; es wuchs zur Größe eines Strandhandtuchs an und schwebte frei im Raum. Er setzte an, es etwas zu Fredericks hinzudrehen, und mußte lächeln. Selbst wenn einer so viel Zeit im Netz verbracht hatte wie er, konnte er immer noch gelegentlich ins RL-Denken zurückfallen, wenn er in Eile war. VR funktionierte anders: Wenn Fredericks mitgucken wollte, konnte er das Bild unabhängig davon sehen, wo er gerade saß. Aber apropos Blickwinkel! Er klopfte mit dem Finger auf das Quadrat, und es dehnte sich in die dritte Dimension aus. »Abfahren, Beezle«, sagte er. »Gib mir einen Blickpunkt irgendwo außerhalb der Personen.«
    Es entstand eine kurze Pause, in der die Prozessoren die Daten rekonfigurierten, dann wurde der schwarze Würfel von einem Fackelschein erhellt, der auf zwei Gestalten flackerte.
    »… Diamanten, jeder einen Imperial schwer«, hörte er sich mit seiner tiefer gestellten Thargorstimme sagen.
    »Fünfzig! Bei den Göttern!«
    »Ja. Und jetzt sei still.«
    Orlando betrachtete die Szene kritisch. Es war seltsam, derart außerhalb von Thargor zu stehen, als ob der Barbar nur eine Figur in einem Netzfilm wäre. »Zu früh. Ich hab ja noch nicht mal das Grab aufgebrochen. Zehn Minuten weiter.«
    Jetzt sah er, wie sein Alter ego sich durch das herabhängende Wurzelgeflecht arbeitete, in der einen Hand die Fackel, in der anderen das Runenschwert. Plötzlich straffte sich Thargor und erhob Raffzahn, wie um einen Schlag abzuwehren.
    »Das ist es!« sagte Orlando. »Da hab ich’s gesehen. Beezle, gib mir meine Eigenperspektive, damit ich die Wand direkt vor Thargor sehen kann.«
    Das Bild verschwamm. Einen Augenblick später hatte sich der Blickpunkt an eine Stelle knapp hinter der rechten Schulter des Söldners verschoben. Die Wand war vollständig zu sehen, auch die Stelle, wo die brennende Lücke gewesen war.
    Doch sie war nicht da.
    »Was? Das ist scännig! Anhalten, Beezle.« Orlando drehte den Ausschnitt langsam und betrachtete die Wand von verschiedenen Seiten. Ihm wurde flau im Magen. »Ich kann’s nicht glauben.«
    »Ich sehe nichts«, sagte Fredericks.
    »Vielen Dank für den Hinweis.« Orlando ließ sich von seinem Agenten mehrmals die Perspektive ändern. Er und Fredericks hielten die mitgeschnittene Simulation sogar an und betraten sie, aber es war nichts Ungewöhnliches festzustellen: Worauf Thargor reagierte, war nicht sichtbar.
    »Scheiße.« Orlando verließ mit seinem Freund die Aufzeichnung wieder. »Laß weiterlaufen.«
    Sie sahen schweigend mit an, wie Thargor sich vorbeugte und die immer noch lückenlos geschlossene Mauer anstarrte. Dann hörten sie Fredericks in der Rolle des Diebes Pithlit rufen: »Da kommt irgendwas in den Raum! Der Hüter des Grabes! Thargor!«
    »So schnell ging das doch gar nicht, oder?« Fredericks hörte sich ein wenig unsicher an, aber Orlando fiel es wie eine Last von den Schultern. Er war also doch nicht verrückt.
    »Nein, todsicher nicht! Guck, da kommt er.« Er deutete auf den Untoten, der mit geschwungener Streitaxt am Rand des Würfels ins Bild getrottet kam. »Die ganze Sequenz dauert nach dieser Version vielleicht zehn Sekunden. Aber du weißt, daß es länger war, stimmt’s?«
    »Klar. Ich bin ziemlich sicher, daß du die Wand viel länger angestarrt hast. Ich

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