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Otherland 1: Stadt der goldenen Schatten

Titel: Otherland 1: Stadt der goldenen Schatten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tad Williams
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Konstruktionsroboter zu erkennen, die sich durch Wolken aus dichtem Marsstaub wühlten. Auf der Wand gegenüber bot ein breites Fenster einen Ausblick auf die Simulation eines Wasserlochs der unteren Kreidezeit. Für eine serienmäßige Tapete ging es darin ziemlich hoch her: Im Moment war ein junger Tyrannosaurus damit beschäftigt, einen entenschnäbligen Hadrosaurier auf höchst unappetitliche Weise zu verzehren.
    Das Innere war dem Strandhaus im skandinavischen Stil nachempfunden, das Orlandos Eltern gemietet hatten, als er noch klein war. Die Unzahl von Winkeln, Treppen und halbverborgenen Nischen hatte ihn damals sehr beeindruckt, und in seiner virtuellen Rekonstruktion hatte er die labyrinthische Wirkung eher noch übertrieben. Überall zierten Andenken an sein – und vor allem Thargors – Netzspielheldentum die verschiedenen Ebenen des Raumes. In einer Ecke stand eine Pyramide aus simulierten Glasvitrinen, die jede die Nachbildung des Kopfes eines besiegten Feindes enthielten, wenn möglich ausgeführt direkt nach einer Schnappschußserie von den letzten Sekunden des Gegners. Auf dem Gipfel der Pyramide nahm Dieter Cabos Schwarzer Elfenprinz den Ehrenplatz ein, mit schielendem Blick wegen des Schwertstreichs, der gerade seinen schmalen Schädel gespalten hatte. Dieser Kampf hatte drei Tage gedauert, und beinahe hätte Orlando deswegen die Halbjahresprüfung in Bio nicht geschafft, aber das war es wert gewesen. In Mittland sprach man immer noch mit Ehrfurcht und Neid von dem heroischen Waffengang.
    Diverse andere Gegenstände hatte ihre eigenen Nischen. Es gab Käfige mit ringenden Homunkuli, Überbleibsel der fehlgeschlagenen Verwünschung durch einen anderen Feind; die aselphische Kugel, die Thargor einem sterbenden Gott von der Stirn gerissen hatte; sogar die Skeletthand des Zauberers Dreyra Jarh. Thargor hatte sie nicht selber abgehauen, sondern sie einem Kuriositätenkrämer entwendet, und zwar kurz bevor ihr ursprünglicher (und ziemlich verärgerter) Besitzer erschienen war, um sie zurückzufordern. Um die Treppe herum wand sich anstelle eines Geländers die Leiche des ekligen Lindwurms vom Bergfried Morsin. Ein einstündiger Kampf mit dem Scheusal im brackigen Wassergraben des Turms – und eine gewisse Achtung vor der hartnäckigen Entschlossenheit, die es bei aller Dummheit an den Tag gelegt hatte – hatten ihm einen Platz in der Sammlung eingetragen. Außerdem fand er, daß es in seiner stolzen Treppenlänge ziemlich akkurat aussah.
    »Ich dachte, du wolltest nicht drüber reden.« Fredericks glitt auf die breite schwarze Ledercouch. »Ich dachte, du wärst echt wütend.«
    »Ich bin wütend. Aber an der Sache ist mehr dran, als daß Thargor abserviert wurde. Viel mehr.«
    Fredericks kniff die Augen zusammen. Orlando wußte zwar nicht, wie sein Freund im RL aussah, aber er war ziemlich sicher, daß er eine Brille trug. »Was soll das heißen, ›mehr dran‹? Du hast gedumpft, Thargor wurde getötet. Was hab ich nicht mitgekriegt?«
    »Viel. Mensch, Fredericks, hast du mich je so erlebt? Irgendwer hat da reingehäckt. Irgendwer wollte mir ans Leder!«
    Er tat sein Bestes, um den atemberaubenden Anblick der goldenen Stadt zu erklären, aber mußte feststellen, daß es fast unmöglich war, Worte zu finden, die einen Begriff davon geben konnten, wie unglaublich pulsierend real sie gewesen war. »… Es war so, so – so als ob ich ein Loch in dieses Fenster hier reißen würde«, er deutete auf das kreidezeitliche Beißen und Kreischen hinter der simulierten Scheibe, »und du die wirkliche Welt dahinter sehen könntest. Kein Videobild der wirklichen Welt, und sei es mit der besten Auflösung, die du dir vorstellen kannst, sondern die wirkliche reale Welt. Aber es war ein Ort, den ich noch nie gesehen habe. Ich glaube nicht, daß es ein Ort auf der Erde ist.«
    »Meinst du, Morpher hat das gemacht? Oder vielleicht Dieter? Er war echt verätzt wegen der Sache mit dem Schwarzen Elf.«
    »Begreifst du denn nicht? Niemand, den wir kennen, hätte das machen können. Ich weiß nicht mal, ob die Regierung oder das Spitzenforschungslabor von Krittapong es könnten.« Orlando fing an, auf der abgesenkten Zimmerfläche hin und her zu marschieren. Er fühlte sich eingeengt. Mit einer schnellen Bewegung dehnte er den Fußboden aus und rückte die Wände und Fredericks’ Couch mehrere Meter zurück.
    »He!« Sein Freund setzte sich auf. »Willst du mir erzählen, es wären Ufos oder sowas gewesen? Mensch,

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