Otherland 1: Stadt der goldenen Schatten
dachte, du hättest die Verbindung abbrechen müssen, oder die Leitung wäre tot oder so.«
Orlando schnalzte mit den Fingern, und der Würfel verschwand. »Beezle, prüf nach, ob an dem Teil der Aufzeichnung irgendwie rumgeschnitten oder sonstwie rumgepfuscht wurde. Vergleich die unterschiedlichen Laufzeiten mit der Spieluhr. Und schick eine Kopie ans Hohe Schiedsgericht, mit dem Vermerk ›unzulässiger Tod einer Figur‹.«
Das spinnenähnliche Dienstprogramm kam aus dem Nichts hereingeplatzt und seufzte tief. »Mannometer, Boß, was soll ich’n noch alles machen? Ich hab jetzt den ersten Download von Suchergebnissen.«
»Speicher sie ab. Ich schau sie mir später an. Irgendwas richtig Spannendes? Ein Volltreffer auf Anhieb?«
»Goldene Städte und/oder hyperreale Phänomene in virtuellen Medien? Kann man nicht sagen, aber ich geb dir alles, was ich finden kann, was auch nur’n bißchen warm ist.«
»Gut.« Irgend etwas arbeitete in Orlandos Hinterkopf, die Erinnerung an die seltsame Metropolis, ihre strahlenden Pyramiden und Türme aus geschliffenem Bernstein und Blattgold. Zuerst war sie ihm als eine persönliche Vision erschienen, ein Geschenk ganz für ihn allein – war er bereit, sich von dieser Möglichkeit zu verabschieden? »Ich hab mir das mit dem Schiedsgericht anders überlegt. Ich will es nicht in die Sache reinziehen – jedenfalls noch nicht.«
Beezle knurrte. »Von mir aus. Und jetzt hab ich zu tun, wenn’s recht ist.« Das Tierchen zauberte eine Zigarre aus der Luft, steckte sie sich in einen Winkel seines breiten, wabbligen Mundes und verschwand dann durch die Wand, nicht ohne vorher noch demonstrativ ein paar Bilderbuchrauchringe zu pusten.
»Du solltest dir ’nen neuen Agenten zulegen«, sagte Fredericks. »Der da ist scännig, und du hast ihn schon seit Jahren.«
»Deshalb arbeiten wir ja so gut zusammen.« Orlando verknotete seine Beine auf indische Art und erhob sich einen halben Meter in die Luft. »Der ganze Witz bei einem Agenten ist doch, daß man sich nicht mit Befehlen und solchem Zeug abgeben muß. Beezle weiß, was ich will, wenn ich etwas sage.«
Fredericks lachte. »Beezle Bug. Zum Schießen.«
Orlando warf ihm einen finsteren Blick zu. »Ich hab ihn so genannt, als ich noch klein war. Komm jetzt, hier läuft irgendwas ab, was der Wahnsinn ist – megaspäcig tschi-sin. Willst du mir nachdenken helfen, oder willst du bloß rumsitzen und dumme Bemerkungen machen?«
»Rumsitzen und dumme Bemerkungen machen.«
»Hab ich mir gedacht.«
> Christabels Papi und sein Freund Ron – aber Christabel mußte Captain Parkins zu ihm sagen – saßen im Wohnzimmer und genehmigten sich ein paar. So nannten sie es, wenn sie den Scotch ihres Vaters tranken und redeten. Aber wenn ihr Papi allein welchen trank oder mit Mami, hieß es nicht so. Eine von diesen Erwachsenensachen.
Sie hatte ihre MärchenBrille auf, aber sie konnte sich nur schwer auf das Märchen konzentrieren, weil sie außerdem den Männern zuhörte. Es war etwas Besonderes, ihren Papi tagsüber zuhause zu haben, auch wenn es Samstag war, und sie hielt sich dann gern im selben Zimmer auf wie er, auch wenn er sich mit Captain Parkins unterhielt, der einen komischen Schnurrbart hatte, der aussah wie von einem Walroß. Die beiden Männer schauten auf dem Wandbildschirm irgendwelchen Footballspielern zu.
»Sehr bedauerlich das mit diesem Jungen von Gamecock – wie hieß er doch noch gleich?« sagte ihr Papi. »Seine armen Eltern.«
»Tja, Football ist ein gefährliches Spiel.« Captain Parkins hielt kurz inne, um einen Schluck zu trinken. Sie konnte ihn nicht sehen, weil sie sich in der MärchenBrille Dornröschen anschaute, aber sie kannte seine Schluckgeräusche, und sie wußte auch, daß er sich seinen Schnurrbart dabei naß machte. Sie lächelte still vor sich hin. »Die meisten von denen sind Ghettobengels – anders kämen die da nie raus. Es ist ein kalkuliertes Risiko. Wie wenn man zum Militär geht.« Er lachte sein lautes Ha-ha-ha-Lachen.
»Gut, aber trotzdem. Ist doch schrecklich, auf die Art draufzugehen.«
»Was erwartest du denn, wenn du Kerle hast, die aus hundertachtzig Kilo Muskeln bestehen und wie ein Sprinter rennen können? Einer von denen knallt auf dich drauf und päng! Selbst bei den neuen Panzeranzügen ist es ein Wunder, daß es nicht noch mehr Tote gibt.«
»Da ist was dran«, sagte ihr Papi. »Es ist, als ob sie in den Innenstadtslums eigens gezüchtet würden, extragroß,
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