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Otherland 1: Stadt der goldenen Schatten

Titel: Otherland 1: Stadt der goldenen Schatten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tad Williams
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rasch wieder auf sie aufmerksam werden, und sie wollte nicht, daß ihre neue Identität irgendwie mit der alten in Verbindung gebracht wurde. Natürlich würde es irgendwann jemandem auffallen: Sie war als Otepi gekommen, und am Ende irgendeines Abrechnungszeitraums würde ein Expertensystem bei der Kontrolle feststellen, daß Otepi niemals gegangen war. Aber bis dahin konnten Stunden oder gar Tage vergehen. Ein Netzknoten, der sich eines derart regen und konstanten Zuspruchs erfreute wie Mister J’s, würde sich schwertun, die andere Hälfte der Unstimmigkeit zu entdecken, und mit etwas Glück war sie zu dem Zeitpunkt schon über alle Berge. Mit etwas Glück.
    Mit einem Wort versetzte sie sich zurück in den Hauptsaal, wo sie in der großen und rührigen Menge leichter unbemerkt bleiben konnte. Zudem war sie müde und dankbar für die Gelegenheit, ein paar Minuten an einem Ort verweilen zu können. Aber was war mit !Xabbu ? Er war so viel unerfahrener. Wie würde sich eine solche Belastung auf ihn auswirken, wenn er irgendwo allein und verängstigt in diesem ungeheuren Labyrinth herumirrte?
    Der Saal war immer noch erfüllt von grellen Lichtern und langen Schatten, von Stimmengewirr und wilder Musik. Renie suchte sich eine in Dunkelheit getauchte Bank am Fuß einer der zyklopischen Wände aus und drosselte die Lautstärke ihrer Kopfhörer. Schwer zu sagen, wo sie anfangen sollte. Es gab hier so viele Zimmer, so viele öffentliche Räume. Sie war selber schon in Dutzenden gewesen, und sie war sicher, daß sie nur die Oberfläche angekratzt hatte. Und sie hatte nicht einmal eine Vermutung, wie viele Leute im Club sein mochten – Hunderttausende vielleicht. Mister J’s war kein physischer Raum. Seine einzige Begrenzung war die Schnelligkeit und das Leistungsvermögen der Anlage, die dahinterstand. Ihr Freund konnte überall sein.
    Renie schaute sich nach der rotierenden Bühne um. Die bleiche Sängerin und ihre gespenstische Band waren fort. An ihrer Stelle machte eine Gruppe Elefanten, die in jeder Beziehung normal waren bis auf ihre Kreissägen, Sonnenbrillen und merkwürdig stacheligen Instrumente – und natürlich das zarte Rose ihrer schlaffen Haut –, langsame, stampfende Tanzmusik. Sie spürte das Bummern des Basses sogar noch durch ihre leise gestellten Kopfhörer.
    »Verzeihung.« Einer der strahlenden Kellner hatte sich vor ihr aufgebaut.
    »Danke, für mich nur die Sitzmiete«, sagte sie. »Ich ruhe mich bloß etwas aus.«
    »Kein Problem, Sir, absolut nicht. Aber ich habe eine Nachricht für dich.«
    »Für mich?« Sie beugte sich mit ungläubigem Blick vor. Sie fühlte ihre Haut prickeln. »Das ist unmöglich.« Er zog eine Augenbraue hoch. Sein Fuß wippte im Takt. Renie schluckte. »Ich meine, bist du sicher?«
    Wenn der Kellner im Auftrag ihrer Verfolger sein Spiel mit ihr trieb, dann machte er das sehr überzeugend. Er kochte förmlich vor Ungeduld. »Oh, schnirpftn. Du bist doch Herr Babutu, oder? Denn wenn, dann möchte der Rest deiner Gruppe dich in der Kontemplationshalle treffen.«
    Sie faßte sich wieder und bedankte sich; einen Sekundenbruchteil später war er auf und davon, ein indignierter Silberstreif.
    Natürlich konnte es !Xabbu sein, dachte sie. Sie hatte ihm die Namen beider Notidentitäten gesagt, seiner und ihrer. Andererseits konnte es genauso gut Strimbello sein, oder vielleicht waren es andere, weniger voluminös gestaltete Clubangestellte, die eine Szene vermeiden wollten. !Xabbu oder Strimbello, es mußte der eine oder der andere sein – Herr Babutu existierte in Wirklichkeit gar nicht, deshalb konnte ihn niemand sonst suchen.
    Was hatte sie für eine Wahl? Sie konnte die Möglichkeit, ihren Freund zu finden, nicht in den Wind schlagen.
    Sie wählte im Hauptmenü die Kontemplationshalle und wechselte über. Sie meinte, eine fast unmerkliche Verzögerung beim Transfer wahrzunehmen, als ob das System gerade ungewöhnlich stark in Anspruch genommen würde, aber sie wurde den Gedanken nicht los, die Ursache könnte sein, daß sie irgendwo tief ins Herz des Systems befördert wurde, weit weg von der metaphorischen Oberfläche. Tief ins Innere der Bestie.
    Die Halle war eine sehr bemerkenswerte Schöpfung, ein pseudoantiker Prunkbau von gigantischen Dimensionen. Hohe, von blühenden Ranken bewachsene Säulen trugen eine riesige runde Kuppel, die zum Teil geborsten und heruntergefallen war. Weiße Bruchstücke, einige so groß wie eine Doppelhaushälfte, schimmerten wie Gebeine am

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