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Otherland 1: Stadt der goldenen Schatten

Titel: Otherland 1: Stadt der goldenen Schatten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tad Williams
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vor und inspizierte ihn eingehend. »Wo kommt Ihr her?«
    »Von weit her. Von der andern Seite des … des Namenloses Waldes.«
    Sie schien noch weiterfragen zu wollen, aber einer der Soldaten brüllte nach Bier. Ihre Lippen wurden schmal vor Ärger – und, dachte Paul, noch etwas anderem.
    »Wartet hier«, wies sie ihn an und ging dann die Soldaten bedienen. Paul schaute sich in der Stube um. Der Bengel am Bratspieß starrte ihn schon wieder mit einer Eindringlichkeit an, die eher nach Berechnung als nach Neugier aussah, aber Paul war müde und hungrig und traute seinen überreizten Wahrnehmungen nicht besonders.
    »Laßt uns darüber reden, was für eine Arbeit Ihr tun könntet«, sagte die Frau, als sie wiederkam. »Folgt mir nach hinten, wo es nicht so laut ist.«
    Sie führte ihn eine schmale Treppe hinunter in einen Kellerraum, der offenbar ihr Privatgemach war. Rings an den Wänden hingen Regale, und dazu waren sie und alle anderen freien Flächen mit Spulen und Docken, Krügen und Kisten und Körben vollgestellt. Bis auf die kleine Pritsche in der Ecke und einen dreibeinigen Hocker sah der Raum eher nach einem Laden als nach einer Wohnstube aus. Mit einem energischen Ausschlagen ihres groben Wollrocks ließ sich die Wirtin auf den Hocker fallen und schleuderte ihre Schuhe von sich.
    »Ich bin so müde«, sagte sie, »ich könnte mich keine Sekunde mehr auf den Beinen halten. Ich hoffe, es macht Euch nichts aus zu stehen – ich habe nur den einen Hocker.«
    Paul schüttelte den Kopf. Seine Aufmerksamkeit wurde von einem kleinen, dickglasigen Fenster in Anspruch genommen. Durch die verzerrte Scheibe sah er draußen Wasser fließen und im Mondschein funkeln. Das Wirtshaus stand offensichtlich an einem Fluß.
    »Also«, die Stimme der Alten war auf einmal scharf, »wer hat Euch hergeschickt? Ihr seid keiner von uns.«
    Paul drehte sich verdutzt um. Die Wirtin hatte eine Stricknadel in der Faust, und obwohl sie keine direkten Anstalten machte, vom Hocker aufzustehen und damit auf ihn loszugehen, sah sie doch auch nicht besonders freundlich aus.
    »Wäldler hieß er. Hans Wäldler. Ich hab ihn im Wald getroffen.«
    »Sagt mir, wie er aussieht.«
    Paul tat sein Bestes, um einen eigentlich eher unauffälligen Mann zu beschreiben, den er hauptsächlich im Dämmerlicht und später in der Dunkelheit gesehen hatte. Erst als ihm das weiße Tuch einfiel, das sein Retter um den Arm getragen hatte, entspannte sich die Frau.
    »Ihr habt ihn gesehen, kein Zweifel. Hatte er eine Botschaft für mich?«
    Zunächst wollte ihm nichts einfallen. »Wißt Ihr, wer ›Ihre Hoheit‹ sein könnte?«
    Die Frau lächelte traurig. »Niemand anders als ich.«
    »Er hat eine Bemerkung darüber gemacht, daß es der Wald des alten Königs sei, aber ich sollte das niemandem gegenüber erwähnen als nur Ihrer Hoheit.«
    Sie kicherte und warf die Stricknadel in einen Korb zu mehreren Dutzend anderen. »Das war mein Hans. Mein Paladin. Und warum hat er Euch zu mir gesandt? Wo ist dieser Ort, wo Ihr her seid, hinter dem Namenlosen Wald?«
    Paul schaute sie an. In ihren Zügen lag mehr als bloß gewöhnliche Abspannung. Ihr Gesicht sah beinahe so aus, als wäre es einmal weich gewesen, aber durch einen schrecklichen Winter zu harten Runzeln erfroren. »Ich weiß nicht. Ich … irgendwas stimmt nicht mit mir. Ich war im Krieg, das ist alles, was ich noch weiß. Ich bin weggelaufen.«
    Sie nickte wie zum Klang einer altbekannten Weise. »Das wird Hans natürlich gesehen haben. Kein Wunder, daß er an Euch Gefallen fand.« Sie seufzte. »Aber meine Auskunft vorhin entsprach der Wahrheit. Ich habe kein Bett frei. Die vermaledeiten Rotröcke haben sich das letzte genommen, und ohne mir für meine Mühe auch nur einen roten Heller zu zahlen.«
    Paul runzelte die Stirn. »Das können die sich erlauben?«
    Sie lachte bitter. »Das und noch mehr. Das Land gehört nicht mehr mir, sondern ihr. Selbst hier in meinem armseligen Unterschlupf hetzt sie mir ihre großspurigen Gesellen auf den Hals. Sie wird mir persönlich nichts tun – welchen Zweck hätte ein Sieg ohne den einzigen Menschen, der ihn ermessen kann? –, aber sie wird mir so viel Leid zufügen, wie sie kann.«
    »Wer ist sie? Ich verstehe nicht das geringste von dem, was Ihr sagt.«
    Die alte Frau stand laut schnaufend auf. »Besser für Euch, wenn Ihr es nicht versteht. Und besser für Euch, wenn Ihr nicht lange in diesem Land bleibt. Man ist hier nicht mehr sehr freundlich zu Reisenden.« Sie

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