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Otherland 1: Stadt der goldenen Schatten

Titel: Otherland 1: Stadt der goldenen Schatten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tad Williams
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Schatten, erst zwei oder drei, dann viele, wie Elfen, die aus ihren Waldverstecken hervorkrochen. Binnen kurzem hatten sich gut drei Dutzend Kinder um Paul und seinen Führer versammelt und rieben sich die ernst blickenden und zum Teil noch schlafverquollenen Augen. Keines war älter als Gally, die meisten waren viel jünger. Es waren auch ein paar Mädchen darunter, aber zum größten Teil waren es Jungen, und alle waren sie schmutzig und abgemagert.
    »Miyagi! Wieso gibt’s ein Parole, und meinst du nicht, du hättest mir was sagen können?«
    Ein kleiner, runder Junge trat vor. »War nicht dazu gedacht, dich auszusperren, Gally. Es haben heut so Leute hier rumgeschnüffelt, die wir noch nie gesehen hatten. Ich hab dafür gesorgt, daß die Kleinen Ruhe bewahren, und allen gesagt, sie sollen keinen reinlassen, der nicht ›Pudding‹ sagt.«
    Mehrere der kleineren Kinder wiederholten das Wort, und die Aufregung über ein Geheimnis – oder möglicherweise die dunkle Erinnerung an die Sache selbst – sprach deutlich aus dem unterdrückten Beben ihrer Stimmen.
    »In Ordnung«, sagte Gally. »Gut, jetzt bin ich hier, und das ist mein Freund …« Er runzelte die Stirn, so daß die Rußschicht darauf rissig wurde. »Wie heißt Ihr, Meister?«
    Paul sagte ihm seinen Namen.
    »… Genau, mein Freund Meister Paul, und er ist auch für den weißen König, wir haben also nichts zu befürchten. Ihr da drüben, legt mehr Holz aufs Feuer – hier drin ist es kalt wie im Affenstall. Die Herrin hat mir Käse und Brot mitgegeben.« Er ließ seinen Sack auf den Boden plumpsen. »Die ganzen Namen merkt Ihr Euch nie. Miyagi und Pointer habt ihr schon kennengelernt. Da drüben das ist Chesapeake, der da schon wieder einschläft, der faule Strick. Das ist Blue – sie ist Pointers Schwester –, und das ist mein Bruder Bay.« Der Letztgenannte, ein dünner, stupsnasiger Knirps mit roten Locken, schnitt eine Fratze. Gally tat so, als wollte er ihm einen Tritt versetzen.
    Paul sah zu, wie die Austernhausjungen – und Mädchen – in verschiedene Richtungen auseinanderliefen, während Gally, der geborene General, allen Aufgaben zuteilte. Als sie wieder allein waren, wandte Paul sich an seinen Führer und fragte leise: »Was soll das heißen: Ich bin für den weißen König? Ich habe keine Ahnung, worum es geht – ich bin hier fremd.«
    »Sei’s drum«, sagte Gally grinsend. »Aber da Ihr vor den Soldaten der roten Königin ausgebüxt seid, denk ich nicht, daß Ihr ihr Abzeichen tragen werdet, oder?«
    Paul schüttelte den Kopf. »Ich habe von alledem keine Ahnung. Ich weiß nicht mal, wie ich in diese Stadt gekommen bin, in dieses Land. Ein Mann hat mich im Wald aufgelesen und mich zu dem Wirtshaus geschickt – ein Bursche mit seltsamen Augen, Hans hieß er. Aber von Königen und Königinnen weiß ich nichts.«
    »Hans hat Euch geschickt? Dann müßt Ihr mehr zu sagen haben, als Ihr rauslaßt. Habt Ihr mit ihm im Krieg gekämpft?«
    Paul schüttelte abermals hilflos den Kopf. »Ich hab … ich hab in einem Krieg gekämpft. Aber woanders, nicht hier. Ich kann mich nicht mehr erinnern.« Er ließ sich auf den Holzboden sacken und lehnte sich mit dem Rücken an die Wand. Die Aufregung war abgeklungen, und jetzt war er erschöpft. Er hatte nur wenige Stunden Schlaf gehabt, bevor Gally ihn geweckt hatte.
    »Na, keine Bange, Meister. Wir werden Euch schon hinkriegen.«
     
    Gally verteilte das Brot und den Käse, aber Paul hatte vorher etwas gegessen, und obwohl er schon wieder Hunger hatte, wollte er den Kindern ihre kleinen Portionen nicht noch mehr schmälern. Sie sahen so klein und schlecht ernährt aus, daß es ihm fast weh tat, ihnen beim Essen zuzuschauen. Trotzdem waren sie bemerkenswert gesittete Gören, von denen jedes geduldig abwartete, bis es bei der Verteilung der Häppchen an die Reihe kam.
    Danach, als das Feuer loderte und der Raum endlich warm war, hätte Paul sich gern schlafen gelegt, aber die Kinder waren zu aufgeregt von den Ereignissen der Nacht, um wieder zu Bett zu gehen.
    »Ein Lied!« rief eines, und die anderen griffen den Ruf auf: »Ja, ein Lied! Der Mann soll ein Lied singen.«
    Paul schüttelte den Kopf. »Ich fürchte, ich kann mich an keins erinnern. Ich wünschte, ich könnte es.«
    »Kein Grund, den Kopf hängen zu lassen«, sagte Gally. »Blue, sing du eins. Sie hat die schönste Stimme, auch wenn sie nicht die Lauteste ist«, erläuterte er.
    Das kleine Mädchen stand auf. Nur von einem schmuddeligen

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