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Otherland 1: Stadt der goldenen Schatten

Titel: Otherland 1: Stadt der goldenen Schatten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tad Williams
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brachte ihn durch das Meer von Krimskrams hindurch zur Tür. »Ich würde Euch hier auf dem Fußboden nächtigen lassen, aber dann würden die Rundköpfe da oben bloß fragen, warum ich mich so für einen Fremden interessiere. Ihr könnt im Stall schlafen. Ich werde sagen, daß Ihr morgen für mich ein paar Lasten schleppt, dann erregt Ihr keine Aufmerksamkeit. Zu essen und zu trinken kann ich Euch immerhin geben, Hans zuliebe. Aber Ihr dürft gegen niemand erwähnen, daß Ihr ihn getroffen habt, und vor allem nicht, was er gesagt hat.«
    »Vielen Dank. Ihr seid sehr gütig.«
    Sie schnaubte, während sie langsam die Treppe hinaufstapfte. »Wenn man tief sinkt, kann einem das passieren – man sieht so viel mehr von der Welt als vorher. Es wird einem sehr deutlich bewußt, wie dünn die Grenze ist, wie wenig Sicherheit es gibt.«
    Sie führte ihn wieder hinauf in die laute Schankstube, wo sie von flegelhaften Fragen der Soldaten und den wachsamen Augen des Jungen am Kamin begrüßt wurden.
     
    Ein eingesperrter Vogel, ein hoher Baum, ein Haus mit vielen Zimmern, eine laute Stimme, die schrie, brüllte, wie Donner auf ihn eindröhnte…
    Paul fuhr aus dem Traum auf wie ein Ertrinkender, und der Geruch von feuchtem Heu und die Geräusche unruhiger Pferde umgaben ihn.
    Er setzte sich auf und versuchte, die Desorientiertheit des Schlafs abzuschütteln. Die Stalltür stand einen Spalt breit offen, ein Schatten hob sich lichtlos von dem Ausschnitt der Sternennacht ab.
    »Wer da?« Er tastete nach einer Waffe, ein Reflex aus einer versunkenen Erinnerung, aber bekam nichts zu fassen als eine Handvoll Stroh.
    »Still.« Das Flüstern war so nervös wie Pauls Stallgefährten. »Ich bin’s bloß, Gally.« Der Schatten kam näher. Paul konnte erkennen, daß es jemand ziemlich Kleines war. »Der Schankjunge.«
    »Was hast du vor?«
    »Nichts Unrechtes, Meister.« Er hörte sich gekränkt an. »Da wär ich leiser gekommen, wenn ich stehlen wollt. Ich wollt Euch warnen.«
    Paul konnte jetzt die Augen des Jungen erkennen, die wie Perlmutt schimmerten. »Mich warnen?«
    »Vor den Soldaten. Sie ham zu viel getrunken, und jetzt reden sie davon, Euch zur Brust zu nehmen. Ich weiß nicht, warum.«
    »Die Schweine.« Paul erhob sich schwerfällig. »Schickt dich die Herrin?«
    »Nö. In ihrem Zimmer zur Nacht eingeschlossen hat sie sich. Ich hab die Soldaten reden hören.« Er richtete sich auf, als sich Paul auf die Tür zubewegte. »Wo wollt Ihr hin?«
    »Keine Ahnung. Zurück in den Wald, nehme ich an.« Er fluchte still vor sich hin. Wenigstens hatte er keine Habseligkeiten, die ihn auf der Flucht aufhalten konnten.
    »Dann kommt mit mir. Ich bring Euch wohin. Die Königlichen werden Euch dorthin nicht folgen – nicht, wenn es dunkel ist.«
    Paul zögerte, eine Hand an der Tür. Tatsächlich hörte man ein leises Tapsen, das vom Wirtshaus über den Hof näherkam, ein Geräusch wie von Betrunkenen, die sich heimlich anzuschleichen versuchen. »Warum?« flüsterte er.
    »Euch helfen? Warum nicht?« Der Junge faßte ihn am Arm. »Keiner von uns kann die Rotröcke verknusen. Und ihre Herrin genauso wenig. Folgt mir.«
    Ohne Pauls Erwiderung abzuwarten, schlüpfte der Junge zur Tür hinaus und stahl sich rasch, aber leise an der Wand entlang. Paul zog die Tür zu und eilte hinter ihm her.
    Gally ging ihm voraus um die Rückseite des Stalls herum, blieb dann stehen und legte Paul warnend die Hand an den Arm, bevor er ihn eine schmale Steintreppe hinunterführte. Das einzige Licht kam vom Halbmond. Paul wäre fast von der Treppe in den Fluß getreten, ehe Gally ihn wieder am Arm faßte.
    »Boot«, flüsterte der Junge und bugsierte Paul in einen sanft schaukelnden Schatten. Als er auf dem feuchten Boden des Bootes Platz genommen hatte, hob sein Retter vorsichtig eine Stange hoch, die auf dem winzigen Pier lag, und stieß den kleinen Nachen auf den dunklen Fluß hinaus.
    Über ihnen verbreitete eine schirmlose Lampe plötzliche Helligkeit und flog mit lautem Krachen die Stalltür auf. Paul hielt den Atem an, bis der Radau, den die betrunkenen Soldaten in ihrer Enttäuschung machten, hinter ihnen verklungen war.
    Die Bäume am nahen Ufer glitten still vorbei. »Wirst du keine Scherereien bekommen?« fragte Paul. »Werden sie nicht dir die Schuld geben, wenn sie merken, daß du weg bist?«
    »Die Herrin wird für mich eintreten.« Der Junge beugte sich vor, als suchte er eine Landmarke in dem nächtlichen Dunkel, das Paul undurchdringlich

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