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Otherland 1: Stadt der goldenen Schatten

Titel: Otherland 1: Stadt der goldenen Schatten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tad Williams
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vor uns zu verstecken – wir sind seine Freunde und könnten ihm helfen.« Die Stimme floß über von gütiger Vernunft, aber etwas anderes lauerte hinter den Worten, etwas Gieriges. Eine blinde Angst packte Paul. Wer es auch war, der da draußen stand, er wollte losschreien und ihnen befehlen, wegzugehen und ihn in Frieden zu lassen. Statt dessen schob er sich die Fingerknöchel zwischen die Zähne und biß fest zu.
    »Wir haben niemand gesehen, wir verstecken niemand.« Gally versuchte, seine Stimme tief und grimmig klingen zu lassen, aber mit mäßigem Erfolg. »Dies ist jetzt unser Haus. Wir sind Arbeiter und brauchen unsern Schlaf, also trollt Euch, bevor wir unsere Hunde auf Euch hetzen.«
    Darauf hörte man ein Murmeln hinter der Tür, das Raunen eines leisen Wortwechsels. Die Tür knarrte in ihrem Rahmen, knarrte noch einmal, als ob jemand einen Moment lang ein schweres Gewicht dagegen gestemmt hätte. Seinem Grauen zum Trotz schlich Paul auf der Empore zur Tür herum, damit er nahe genug war, um Gally helfen zu können, falls es zu einem Handgemenge kam.
    »Na schön«, sagte die Stimme schließlich. »Es tut uns wirklich leid, falls wir Euch gestört haben sollten. Wir gehen jetzt. Bedauerlicherweise müssen wir unseren Freund in einer anderen Stadt suchen, wenn er nicht hier ist.« Es knarrte noch einmal, und der Riegel klapperte in seiner Halterung. Der unsichtbare Fremde redete ruhig weiter, als ob das Klappern gar nichts mit ihm zu tun hätte. »Falls Ihr zufällig einen solchen Mann treffen solltet, einen Soldaten, vielleicht ein klein wenig verwirrt oder absonderlich, dann sagt ihm, er möge im ›Traum des Königs‹ oder in anderen Wirtshäusern am Fluß nach uns fragen. Zimmerer und Hauer heißen wir. Wir möchten unserem Freund so gern helfen.«
    Schwere Stiefel knirschten auf der Türstufe, dann trat eine lange Stille ein. Gally wollte schon die Tür aufmachen, aber Paul beugte sich über das Geländer und gab ihm ein Zeichen, die Finger davon zu lassen. Darauf begab er sich an die Stelle, wo das Emporengeländer dem Oberlicht über der Tür am nächsten war, und lehnte sich hinaus.
    Zwei Gestalten, beide in dunkle Mäntel gemummt, standen vor der Tür. Einer war größer, aber ansonsten waren sie wenig mehr als unförmige Schattenmassen im Grau vor Tagesanbruch. Pauls Herz schlug noch schneller. Er gestikulierte wie wild, Gally solle sich ja nicht rühren. Im fahlen Licht sah er, daß einige der Kinder wach waren und mit schreckensgeweiteten Augen aus ihren über das ganze Austernhaus verteilten Schlafstellen lugten.
    Die kleinere der beiden Gestalten legte den Kopf wie lauschend auf eine Seite. Paul wußte nicht warum, aber ihm war klar, daß diese Leute, wer sie auch sein mochten, ihn auf keinen Fall finden durften. Er meinte, sein Herz müsse so laut schlagen wie eine Kesselpauke. Ein Bild quoll durch seine aufgewühlten Gedanken nach oben, das Bild einer leeren Gegend, eines ungeheuer weiten Nichts, in dem es nur ihn gab – ihn und zwei Wesen, die ihn jagten …
    Die kleinere Gestalt beugte sich wie flüsternd zu der größeren, dann drehten sich beide um und trotteten den Pfad hinunter in den Nebel, der vom Fluß her aufzog.
     
    »Zwei, hä? Sind das die fremden Leute, von denen du geredet hast?«
    Miyagi nickte lebhaft. Gally legte seine Stirn in höchst eindrucksvolle Konzentrationsfalten. »Wüßte nicht, daß ich je was von denen gehört hätte«, meinte er schließlich. »Aber die Tage kommt jede Menge fremdes Volk hier durch.« Er grinste Paul an. »Nichts für ungut. Aber wenn das keine Soldaten sind, dann sind sie Spione oder sowas. Die werden wiederkommen, würd ich mal sagen.«
    Paul fand, daß der Junge wahrscheinlich recht hatte. »Dann gibt es nur eine Möglichkeit. Ich gehe, dann kommen sie mir hinterher.« Er sagte es entschlossen, doch der Gedanke, so bald schon weiterziehen zu müssen, tat ihm in der Seele weh. Es war dumm gewesen, sich einzubilden, er könnte so leicht Frieden finden. Er konnte sich an sehr wenig erinnern, aber er wußte, daß es lange her war, seit er zum letztenmal an einem Ort gewesen war, den er als Zuhause bezeichnen konnte. »Wie kommt man am besten aus dieser Stadt raus? Überhaupt, was liegt eigentlich jenseits dieser Stadt? Ich habe keine Ahnung.«
    »Es ist nicht so einfach, übern Plan zu ziehen«, sagte Gally. »Die Verhältnisse ham sich geändert, seit wir hergekommen sind. Und wenn Ihr einfach drauflos geht, werdet Ihr

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