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Otherland 1: Stadt der goldenen Schatten

Titel: Otherland 1: Stadt der goldenen Schatten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tad Williams
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die Kissen zurücksacken. »Ich gebe nicht auf.«
    !Xabbu hockte immer noch im Schneidersitz auf dem Boden. »Aber wie willst du es anstellen, wenn du nicht die Hochschule benutzt?« Er klang beinahe traurig, viel trauriger, als seine Worte rechtfertigten, so als ob er mit jemandem, den er vermutlich nie wiedersah, beim Abschied noch ein paar belanglose Worte wechselte.
    »Ich denke drüber nach. Ich hab ein paar Ideen, aber ich muß sie noch ein wenig hin und her wälzen.«
    Der Buschmann schwieg und schaute zu Boden. Schließlich blickte er auf. Seine Augen wirkten betrübt, seine Stirn lag in Falten. Renie bemerkte plötzlich, daß schon die ganze Zeit, seit er gekommen war, eine ganz untypische Schwermut auf ihm lag.
    »Du hast gesagt, du wolltest mit mir darüber reden, was geschehen ist.«
    Er nickte. »Ich bin ganz durcheinander, Renie, und ich muß reden. Du bist meine Freundin. Ich denke, du hast mir das Leben gerettet.«
    »Und du mir meines, und das weiß ich sicher. Wenn du zu lange damit gewartet hättest, mir Hilfe zu holen …«
    »Es war nicht schwer zu erkennen, daß deine Seele sehr schwach war, daß du sehr krank warst.« Er zuckte verlegen mit den Achseln.
    »Dann sprich mit mir. Sag mir, warum deine Seele schwach ist, wenn es das ist, was dich plagt.«
    Er nickte mit ernster Miene. »Seit wir zurück sind, höre ich die Sonne nicht mehr klingen. So sagen meine Leute dazu. Wenn du den Ton nicht mehr hören kannst, den die Sonne macht, ist deine Seele in Gefahr. Dieses Gefühl habe ich jetzt schon viele Tage.
    Zuerst muß ich dir Dinge von mir erzählen, die du nicht weißt – einen Teil der Geschichte, die mein Leben ist. Ich erzählte dir schon, daß mein Vater tot ist, daß meine Mutter und meine Schwestern bei meinem Volk leben. Du weißt, daß ich eure städtische Schulbildung genossen habe. Ich gehöre meinem Volk an, aber ich habe auch die Sprache, die Gedanken der Stadtmenschen. Manchmal fühlt sich das in meinem Innern wie Gift an, etwas Kaltes, wovon mir eines Tages vielleicht das Herz stehenbleiben wird.«
    Er stockte und holte tief und zittrig Atem. Was er sagen wollte, quälte ihn sichtlich. Renie merkte, daß sie die Fäuste fest geballt hatte, als sähe sie zu, wie jemand, den sie liebte, in großer Höhe ein gefährliches Kunststück vollführte.
    »Es sind nur noch sehr wenige von meinem Volk übrig«, begann er. »Das alte Blut ist größtenteils ausgestorben. Wir haben uns mit den größeren Menschen vermischt, oder manchmal wurden unsere Frauen gegen ihren Willen genommen, aber es gibt immer weniger, die wie ich aussehen.
    Es gibt noch weniger, die auf die althergebrachte Art leben. Selbst diejenigen, die vom echten reinblütigen Buschmannschlag sind, züchten fast alle Schafe oder arbeiten in Rinderfarmen an den Rändern der Kalahari oder im Okawangodelta. So auch die Familie meiner Mutter, eine Familie aus dem Delta. Sie hatten Schafe, ein paar Ziegen, sie fingen Fische im Delta und tauschten sie in der nächsten Stadt gegen Dinge ein, die sie zu brauchen meinten – Dinge, über die unsere Vorfahren gelacht hätten. Und wie sie gelacht hätten! Radios, jemand hatte sogar einen alten Fernseher, der mit Batterien betrieben wurde – was sind diese Dinge anders als die Stimmen des weißen Mannes und des schwarzen Mannes, der wie der weiße Mann lebt? Unsere Vorfahren hätten das nicht verstanden. Die Stimmen der Stadt übertönen die Geräusche des Lebens, das mein Volk einst führte, genauso wie sie es schwer machen, das Klingen der Sonne zu hören.
    Also führte die Sippe meiner Mutter ein Leben wie so viele arme Schwarze in Afrika, an die äußeren Ränder der Gebiete gedrängt, die einmal ihnen gehört hatten. Die Weißen herrschen heute nicht mehr in Afrika, wenigstens bekleiden sie nicht mehr die Regierungsämter, aber die Dinge, die sie hierher mitbrachten, beherrschen Afrika an ihrer Stelle. Das weißt du, auch wenn du in der Stadt lebst.«
    Renie nickte. »Ich weiß es.«
    »Aber es gibt immer noch einige von unseren Leuten, die auf die althergebrachte Art leben – die Art des Urgeschlechts, die Art des Mantis und des Stachelschweins und Kwammangas, des Regenbogens. Mein Vater und seine Leute lebten so. Sie waren Jäger, die durch die Wüste streiften, wo weder der weiße Mann noch der schwarze Mann sich hintrauen, die dem Blitz folgten, dem Regen und den Antilopenherden. Sie führten noch das Leben, das mein Volk seit den allerersten Schöpfungstagen geführt hat,

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